NATO-Manöver: Muskelspiel in West und Ost
Es ist der Herbst der militärischen Superlativen in Ost wie West. Ab heute, Donnerstag, probt die NATO in Norwegen mit ihrem Großmanöver „Trident Juncture“ (Dreizackiger Verbindungspunkt) das Zusammenspiel im Ernstfall. Es ist das größte NATO-Manöver seit Ende des Kalten Krieges mit 50.000 Soldaten, 150 Flugzeugen, 65 Schiffen, mehr als 10.000 Militärfahrzeugen sowie dem US-Flugzeugträger „Harry S. Truman“. Trainiert wird der Bündnisfall, also der Fall, wenn einer der 29 NATO-Staaten angegriffen wird und für die anderen die Beistandspflicht schlagend wird. Auch Finnland und Schweden nehmen als Partnerländer der Allianz am Manöver teil.
In der ersten Phase wird geprobt, wie schnell sie Truppen aus anderen Teilen Europas und aus Nordamerika zusammenziehen. Im zweiten Teil, dem eigentlichen Manöver, wird dann eine fiktive Konfliktsituation inszeniert. Dabei wird überprüft, ob die Militärs aus den 31 teilnehmenden Staaten in einer Gefechtssituation problemlos zusammenarbeiten können. Das reicht von der sprachlichen Verständigung bis hin zur Kompatibilität des Geräts.
Die NATO-Truppen sollen operativ so gut aufeinander eingespielt sein, dass sie jederzeit bereit sind, „auf jede Bedrohung, egal, woher sie kommt und welcher Art sie ist, zu antworten“. So formuliert es das Bündnis. Klar ist aber, wer als potenzieller Aggressor gesehen wird: Russland.
Vor Russlands Haustür
Quasi vor dessen Haustür, Norwegen grenzt an Russland , trainiert die Allianz zu Boden, zu Land und zu Wasser. Übungsgebiet sind Mittel- und Ost-Norwegen, umgebende Gebiete im Nordatlantik und in der Ostsee, einschließlich Island und dem Luftraum über Finnland und Schweden.
Der Kommandant der Übung, der norwegische General Rune Jakobsen, wies dennoch zurück, dass sich das Szenario gegen Russland richte. Das „Kerngebiet“ der Übung befinde sich „1000 Kilometer von der russischen Grenze entfernt“. Einsätze der Luftwaffe fänden in 500 Kilometer Abstand statt. „Es sollte keinen Grund für die Russen geben, Angst zu bekommen.“
Russland wurde über das Manöver informiert und Beobachter sind eingeladen – den Regeln der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) entsprechend.
Krim hat alles verändert
Ein russisches Angriffsszenario erschien nach Auflösung der Sowjetunion 1991 über viele Jahre sehr weit weg, lange wurde kaum noch intensiv trainiert. Doch dann kam der Ukraine-Konflikt 2014 und die strategisch perfekt geplante militärische Intervention samt russischer Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Vor allem östliche Bündnispartner fühlen sich seitdem bedroht.
Die NATO hat daher ihre Präsenz in Osteuropa massiv verstärkt und eine neue innerhalb von 48 Stunden verlegbare Eingreiftruppe geschaffen. Zudem wird die bestehende Krisenreaktionstruppe „NATO Response Force“ deutlich vergrößert. Im vergangenen Sommer hat sich die Allianz bei ihrem Gipfeltreffen auf zwei neue Kommandostellen in den USA und in Europa verständigt, um rasch aus Nordamerika Truppen für den Einsatz in Europa entsenden zu können.
Neue Formel
Zur Erhöhung ihrer Reaktionsfähigkeit gilt künftig die Formel „4 x 30“:30 mechanisierte Bataillone, 30 Kampfgeschwader, 30 Kriegsschiffe sollen innerhalb von 30 Tagen innerhalb Europas verfügbar sein.
Zudem wird die NATO in Brüssel ein Cyberspace Operation Center aufbauen. Ein derartiger Coup wie in der Ukraine soll Moskau nicht noch einmal gelingen können.
Russland wird die Umsetzung der NATO-Beschlüsse mit Argusaugen beobachten. Mit großem Missfallen hat Moskau auch das zehntägige Luftwaffenmanöver „Clear Sky 2018“ der Ukraine mit den USA und anderen NATO-Staaten in der Westukraine verfolgt.
Die US-Luftwaffe setzte unter anderem F-15-Kampfjets, Transportflugzeuge sowie Drohnen ein. Die ukrainische Armee beteiligte sich mit etwa 30 Militärflugzeugen. Deklariertes Ziel der Übungen: Die Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Ukraine sowie die „regionalen Fähigkeiten zum Schutz des Luftraums“ zu stärken.
„Wostok 2018“ zum Auftakt
„Das ist der Versuch der Ukraine, unter den westlichen Schutzschirm zu gelangen und praktische Erfahrungen zu sammeln“, erklärt Brigadier Walter Feichtinger von der Landesverteidigungsakademie. Getestet wird die „Interoparabilität“. Dabei geht es nicht nur um militärische Konzepte, sondern auch um die Sprachverständigung, die Funksysteme bis hin zur Koppelung der Waffensysteme. „Wenn die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine – die großteils noch andere Systeme benützt als die NATO – mit den USA funktioniert, wird das von den Russen garantiert nicht goutiert werden.“ Zur Erinnerung: Der Krieg in der Ostukraine zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten ist noch immer nicht befriedet.
Den Auftakt zum herbstlichen Manöver-Machtspiel zwischen West und Ost machten aber die Russen mit „Wostok 2018“ im September – und das kraftvoll: Langstreckenbomber des Typs Tupolew TU22M2 warfen über einem Übungsziel in Ostsibirien 500 Kilogramm schwere Bomben ab. In der Luft probten Jets das Abfangen von Flugzeugen, die in den Luftraum eingedrungen sind; ein Verband der Nordflotte trainierte fern der Heimatbasis im europäischen Norden Russlands im Ochotskischen Meer am Pazifik das Aufspüren feindlicher U-Boote.
China mit an Bord
Nach Angaben Moskaus waren an dem Manöver, an dem sich China und die Mongolei beteiligten, 300.000 Soldaten, 36.000 Panzer und Militärfahrzeuge, 1000 Flugzeuge und 80 Kriegsschiffe im Einsatz. 300.000 Mann? Laut Beobachtern ist das schwer übertrieben, die NATO geht von einigen Zehntausend russischen Soldaten aus. Erstmals schickte China Soldaten zu einem russischen Manöver. Zwar nur 3400, aber es gilt trotzdem als Erfolg des russischen Präsidenten. „Putin hat es geschafft, China an Bord zu holen und damit dem Westen zu signalisieren, dass Moskau mächtige Partner hat“, sagt Feichtinger.
Putin lobte denn auch die militärische Kooperation mit den beiden Nachbarn und tönte: „Unsere Waffenbrüderschaft hat eine lange und feste Tradition.“ Die Streitkräfte der drei Länder sorgten, so Putin, für Stabilität und Sicherheit in Asien. Russland sei friedlich, werde aber um seiner Sicherheit willen seine Streitkräfte weiter ausbauen und trainieren. Putin: „Es gibt bei uns keine aggressiven Pläne und wird keine geben.“
Palatschinken
Einen gemeinsamen Manöverbesuch von Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping gab es nicht. Während ihre Soldaten trainierten, präsentierten sich die beiden in Wladiwostok als Köche: Vor vielen Kameras machten sie Palatschinken.
Die NATO lässt sich mit derlei launigen PR-Aktionen sicher nicht einwickeln. Feichtinger: „Man sieht, dass die Intensität und der Umfang der Militärübungen auf beiden Seiten zunimmt. Das ist kein gutes Zeichen, aber es entspricht der politischen Großwetterlage.“
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