Russlands Opposition hat neue Führungsfigur
Äußerst knapp übersprang Moskaus amtierender Oberbürgermeister Sergej Sobjanin beim sonntägigen Urnengang die Fünfzig-Prozent-Marke (51,15) und erspart sich so eine Stichwahl. Das Ergebnis ist nicht nur eine Blamage für den 55-Jährigen, dem 60 Prozent vorhergesagt waren, sondern auch für dessen Förderer, Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Obwohl unterlegen, heißt der große Wahlsieger Alexej Nawalny. Der 37-jährige Blogger, Anwalt und Anti-Korruptionskämpfer schaffte fast 30 Prozent – das ist rund das Doppelte als prognostiziert worden war.
„Wunder von Moskau“
Beobachter erklären das „Wunder“ vor allem mit flächendeckendem Einsatz moderner Kommunikation. Wie schon bei den Massenprotesten nach den angeblich manipulierten Parlamentswahlen Ende 2011 habe Nawalny die politikverdrossene Fun-Generation, die auch Wahlen notorisch schwänzt, über virtuelle soziale Netzwerke angesprochen und mobilisiert, glaubt die Soziologin Olga Kryschtanowskaja, die seit Jahren zum Verhalten der Eliten forscht. Sobjanin dagegen sei auf die Füße gefallen, da die Wahlbeteiligung überraschend niedrig ausfiel: knapp 30 Prozent.
Die zersplitterte russische Opposition hat nun jedenfalls eine neue Führungsfigur, die weiter in der Politik mitmischen will. 2018 will Nawalny bei den Präsidentenwahlen Wladimir Putin in die Knie zwingen.
Ob er dazu Gelegenheit haben wird, bleibt abzuwarten. Denn der Anwalt wurde wegen Veruntreuung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Er konnte überhaupt erst zur Bürgermeisterwahl antreten, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Der Kreml wollte einen ernstzunehmenden Kandidaten, um die demokratische Legitimierung Sobjanins zu unterstreichen.
Dass Nawalny jetzt derart sensationell abgeschnitten hat, gibt wohl den Falken in Putins Reihen Aufwind, die den aufmüpfigen Blogger am liebsten von der Wahl ausgeschlossen hätten. Ob sich die Mächtigen in Russland nach diesem Ergebnis trauen, Nawalny einfach wegzusperren, werden die kommenden Wochen zeigen.
„Gelbe Karte“
Es war das erste Mal seit fast zehn Jahren, dass die Moskauer ihr Stadtoberhaupt direkt wählen konnten. Wladimir Putin hatte sich 2004 vom Parlament Verfassungsänderungen genehmigen lassen, mit denen der Präsident das Recht bekam, die Verwaltungschefs der Regionen und die ihnen im Rang gleichgestellten Oberbürgermeister von Großstädten de facto zu ernennen. Sobjanin war im Frühjahr eigens zurückgetreten, um mit vorgezogenen Neuwahlen nicht nur sich selbst demokratisch legitimieren zu lassen, sondern auch den Kreml vom Wahlfälschungsverdacht reinzuwaschen.
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