Nadeschda Sawtschenko drohen 25 Jahre Haft
Für Nadeschda Sawtschenko geht es um alles oder nichts. Um Freispruch oder um die Höchststrafe: 25 Jahre Haft. Die Anklage wirft der 34-jährigen ukrainischen Kampfpilotin Mord, versuchten Mord und illegalen Grenzübertritt vor. Unter selbst für Russland beispiellosen Sicherheitsvorkehrungen begann am Dienstag in Donezk, einer Kleinstadt in der südrussischen Region Rostow die Hauptverhandlung. Aussage steht dabei gegen Aussage.
Glaubt man russischen Ermittlern, hat Sawtschenko ukrainischen Truppen im Juni 2014 die Koordinaten eines TV-Teams übermittelt, das für das russische Staatsfernsehen über Kämpfe im Osten des Landes berichtete. Die Reporter starben kurz danach bei einer ukrainischen Mörser-Attacke. Ihre Begleiter – pro-russische Kämpfer – wurden verletzt. Für diese Version, so Wladimir Markin von der Ermittlungsbehörde der Generalstaatsanwaltschaft während Vorverhandlungen im Juli, gäbe es "ausreichend" Beweise.
Sawtschenko erzählt es anders: Separatisten hätten sie noch vor dem Mörser-Angriff gekidnappt und dem russischen Geheimdienst FSB übergeben. Zum Grenzübertritt sagt Sawtschenko, FSB-Leute hätten sie verschleppt. Moskau behauptet, sie sei verhaftet worden, als sie als Kriegsflüchtling getarnt versucht habe, die Grenze illegal zu passieren.
Nationalheldin
Während Moskau begann, gegen Sawtschenko wegen Mord zu ermitteln, wurde sie zu Hause Nationalheldin. Sie wurde ins ukrainische Parlament und in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt. Abgeordnete genießen Immunität – damit wollte Kiew Sawtschenko freibekommen. Moskau aber stellte sich stur, Sawtschenko trat in den Hungerstreik. Fast zwei Monate hielt sie durch, am Ende dem Tode nah.
Mit eisernem Willen hatte Sawtschenko schon eine Ausbildung als Kampfpilotin durchgesetzt und männliche Kollegen bei Märschen mit schwerem Gepäck als Weicheier vorgeführt. Doch U-Haft und Hungerstreik haben Spuren hinterlassen. Die dunklen Haare sind heute extrem kurz, das einst schöne Gesicht ist scharf und kantig.
Journalisten können den Prozess, obwohl er öffentlich ist, nur in einem Nebenraum verfolgen – per Videoübertragung, die der Vorsitzende Richter jederzeit abbrechen kann. Und gegen den Willen der Angeklagten entscheidet über die Schuldfrage keine Geschworenen-Jury, sondern ein Richter-Kollegium. So wie in allen politisch aufgeladenen Prozessen in der jüngeren Geschichte Russlands. Einen Antrag der Verteidigung, die Verhandlungen nach Moskau zu verlegen, wo der Fall durch geballte Präsenz westlicher Medien weitere Resonanz hätte, wurde abgeschmettert.
Auch von der Causa um Sawtschenko, die auf Twitter bereits über 15000 Follower hat, hängt ab, wie sich das Verhältnis zwischen Moskau und dem Westen entwickelt. USA, EU und OSZE hüten sich zwar, den Richtern vorzugreifen, kritisieren aber die "illegale Internierung". Sie fordern Sawtschenkos Freilassung im Rahmen eines Gefangenen-Austausches.
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