Molenbeek: "Die Polizei hat hier nichts zu suchen"
Es ist auffallend still in der Rue des Quatre-Vents 79, wo Freitagnachmittag der mutmaßliche Paris-Attentäter Salah Abdeslam bei einer Polizei-Razzia festgenommen wurde. Am Samstagvormittag, wo hier gewöhnlich viele unterwegs sind, einkaufen und beim Tee tratschen, war gestern kaum etwas los.
Die Moschee "Al Khalil" gleich um die Ecke des Gemeindebaus, wo der Terrorist in der Sozialwohnung der Mutter eines Komplizen Unterschlupf fand und 500 Meter weiter gefasst und angeschossen wurde, ist gesperrt. Nur beim Halal-Fleischhauer tauschen sich einige Leute aus. "Unerhört, dass wir als Islamisten-Hort gesehen werden. Ich wurde hier geboren, meine Eltern sind aus Marokko und ehrenwerte Leute. Ich bin gläubig", regt sich ein 35-jährige Installateur auf. "Die Familie von Abdeslam kommt auch aus Marokko. Sie sind gute Menschen", betont er.
Rechtsfreier Raum
Ein angespannt wirkender älterer Mann verlässt den Laden, will aber nicht auf die Frage antworten, ob er nach der Festnahme erleichtert sei. Ein Herr mit Bart und brauner Pluderhose eilt herbei und fuchtelt wild um sich: "Ich sage Ihnen etwas: Die Polizei hat hier nichts zu suchen, wir regeln unsere Dinge selbst. Gehen Sie, und lassen Sie uns hier in Molenbeek in Ruhe", lautet die unmissverständliche Aufforderung, den Ort zu verlassen.
Zwei U-Bahn-Stationen Richtung Stadtzentrum ist die Stimmung aufgewühlt. Wohin man kommt, werden die neuesten Informationen über den Polizei-Coup ausgetauscht. Die Dame mit Hut und eleganter Handtasche findet nicht, dass die Sicherheitskräfte einen "guten Job" gemacht haben. "Ich bin schockiert. Monatelang war der Terrorist hier in Brüssel unterwegs. Unvorstellbar, er wäre mir auf der Straße begegnet." Und dass Abdeslam in der renommierten Universitätsklinik "Saint-Pierre" operiert wurde, gefällt der Bewohnerin der Brüsseler City auch nicht.
Zu einem lautstarken Streit führt die Diskussion in der Trafik bei der EU-Kommission. Mehrere Leute reißen dem Verkäufer die Zeitungen regelrecht aus der Hand. Das Informationsbedürfnis ist groß. Einer schreit: "Die Muslime sind in Belgien im Vormarsch. Stoppt sie."
Die große Tageszeitung Le Soir widmet Abdeslam und der noch nicht gebannten Terrorgefahr in Belgien am Samstag gleich 14 Seiten. Der verhaftete Islamist ist Thema Nummer 1 – und viele Fragen ranken sich um ihn: Ist er der Kopf eines weitverzweigten Terror-Netzwerkes? "Eher nicht", schreibt das flämische Blatt De Standaard. "Man kann vermuten, dass er als Terrorist ausrangiert worden war. Es sieht danach aus, dass er nicht mehr wusste, wohin er gehen sollte und deshalb in seiner Heimatgemeinde kleben blieb."
Lebenslänglich
Was mit Salah Abdeslam passiert, ist festgelegt: Am Samstag wurde er dem Richter vorgeführt und verhört. Bis zu seiner Auslieferung nach Frankreich, gegen die er sich wehrt, kommt er in den Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Brügge.
Die Hinterbliebenen der 130 Terroropfer der Anschläge vom 13. November 2015 in Paris verlangen einen raschen Prozess. Sie wollen wissen, welche Rolle er bei den drei aktiven Killerkommandos in Paris spielte und warum er seinen Sprengstoffgürtel abgelegt und nicht wie sein Bruder gezündet hatte?
Ein Vertreter der Pariser Opfer-Initiative, erwartet ein gerechtes Urteil: "Lebenslänglich."
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