Mittelmeerroute: Migrantenzahlen steigen wieder
Von den Flüchtlingszahlen des Vorjahresherbstes, wo allein im Oktober 27.000 Menschen in Italien angekommen waren, ist man weit entfernt. Doch die täglichen Statistiken des italienischen Innenministeriums machen klar: An der libyschen Küste steigen wieder mehr Menschen in die Schlauchboote, um die lebensgefährliche Überfahrt nach Italien anzutreten. An die 8000 Menschen dürften es im Oktober werden, wieder deutlich mehr als im August und September.
Der Grund: Die Dabashi-Milizen rund um die nordlibysche Stadt Sabrata, mit denen die italienische Führung ein Abkommen geschlossen hat, wurden vor rund einer Woche besiegt und vertrieben. "Und die anderen Gruppen, die jetzt das Sagen haben, haben andere Sorgen, als sich um die Migranten zu kümmern", schildert der österreichische Sicherheits- und Politikanalyst Wolfgang Pusztai dem KURIER. Generell werde man das Problem der Migrationsströme auf diesem Weg, Kooperationen mit einzelnen Milizen zu schließen, nicht lösen können, ist der Libyen-Kenner überzeugt.
Empörter Ex-Premier
Bei Libyens Ex-Premier, Mahmud Jibril, so wie Pusztai Gast bei einer hochrangigen Libyen-Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel, löst das Vorgehen der italienischen Regierung sogar höchste Empörung aus: "Die EU bezahlt Milizenführer dafür, Migranten im Land zu halten. Diese armen Afrikaner werden dann meisten irgendwelche schrecklichen Lager gesperrt. Und die EU bezahlt dafür, dass sie am Leben bleiben dürfen. Man macht die Milizenführer damit zu den wahren Mächtigen im Land, das ist eine wahre Katastrophe."
Dies gesamte illegale Immmigration, die sich von den südlichen Nachbarländern quer durch Libyen zieht und bis nach Europa reicht, sieht Jibril als "transnational organisiertes Verbrechen": Afrikanische Schlepperbanden, libysche Gruppen und auch Verbrecherbanden in Europa seien daran beteiligt. Heftig weist der frühere Premier aus Europa kommende Vorschläge zurück, in Libyen große, international organisierte Flüchtlingslager zu errichten. Er wittert dahinter eine perfide Idee, den Wüstenstaat quasi zu einer zweiten Heimat für Millionen Afrikaner umzufunktionieren.
Ein wenig gebremster Zustrom
Aus der Sicht des Sicherheitsexperten Wolfgang Pusztai ist es unerlässlich, das zutiefst gespaltene Libyen zu stabilisieren– vor allem um zu verhindern, dass der Wüstenstaat zu einem sicheren Hafen für Terroristengruppen aller Art wird. Die bisherige Migrationspolitik der EU aber erachtet er als nicht zielführend. Zwar versucht die EU mit weitreichenden Maßnahmen den Zustrom der Migranten schon in den westafrikanischen Urspungsländern einzudämmen. Militärische Kooperationen werden ausgebaut, Grenzschutzsysteme verstärkt. "Aber de facto kommt jeder Migrant durch, der es versucht", sagt Pusztai. Doch auch er stimmt zu: Der Zustrom wurde ein wenig gebremst.
"Nichts Gutes"
"Wir müssen weiter und noch viel stärker versuchen, die Menschen erst gar nicht nach Libyen kommen zu lassen", fordert auch ein Sprecher einer internationalen Hilfsorganisation mehr Einsatz der internationalen gemeinschaft in den südlichen Nachbarländern LIbyens. "In Libyen wartet auf die Migranten nichts Gutes, nur Gefangenschaft, Vergewaltigung, Folter, Menschenschmuggel, Verbrechen." Alles müsse unternommen werden, damit sich Migraten erst gar nicht auf den Weg machten. "Denn wenn sie in Libyen ankommen, ist es schon zu spät."
Angelaufen sind mittlerweile auch die freiwilligen Rückführungen von Migranten aus Libyen in ihre afrikanischen Heimatländer. 8.500 Menschen waren es bisher heuer. Ihre Zahl soll, so die Hoffnungen der EU, noch erheblich gesteigert werden.
"Kurzfristig wid man aus meiner Sicht die Migrationsfrag ein Libyen nicht lösen können", glaubt Libyen-Kenner Wolfgang Pusztai. Mehr Sinn würde machen, jeden aus dem Mittelmeer Geretteten auf unbewohnte Inseln vor Tunesien oder Italien zu bringen. "Dort müsste man Vier-Sterne-Lager einrichten, die alle menschenrechtliche Standards erfüllen und von UNHCR oder EU betrieben werden. An die betreffenden Staaten könnte man Miete zahlen, alles in allem sei dies wesentlich billiger als Migranten von Europa aus wieder zurückzubringen." Wichtig ist vor allem die Botschaft an die Migranten: Es gibt über das Mittelmeer keinen Weg mehr nach Europa. Es wird nicht mehr so einfach gehen."
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