"Mit Schmuggelgut über Grenze": Politiker erinnern sich an 1989
In der ÖVP schüttelte man damals, Ende der 1980er, meist nur den Kopf über die beiden „ostanfälligen“ Politiker, die sich auf den Weg hinter den Eisernen Vorhang, nach Polen, Ungarn und in die Tschechoslowakei, machten, um dort mit Regimekritikern Kontakt aufzunehmen.
Für den KURIER erinnern sich Erhard Busek, damals ÖVP-Chef in Wien, und der Spitzendiplomat Emil Brix, damals im ÖVP-Parlamentsklub, an ihre abenteuerlichen Erkundungstouren in den zerbröselnden Ostblock.
KURIER: Wie waren Ihre Expeditionen ins kommunistische Osteuropa?
Erhard Busek, Emil Brix: Unser Fahrzeug war ein zerbeulter VW, der der Wiener ÖVP gehört hat, und den wir dazu verwendet haben, unter anderem nach Polen zu fahren und auch Schmuggelgut mitzunehmen. Wir haben mit Milchpulver zur Bestechung der Grenzpolizisten gearbeitet.
Am Weg in die Tschechoslowakei mussten wir uns aber auch einmal komplett ausziehen, der Wagen wurde zerlegt.
Busek: Einmal hat mir die tschechische Grenzpolizei tschechisches Geld untergeschoben. Ein anderes Mal hatte ich verbotene Bücher in Leipzig in einem Wintermantel eingenäht, für unsere Freunde dort. Der Mantel ist deshalb furchtbar heruntergehangen.
Der DDR-Beamte hat mir dann zum Glück nur ein Buch abgenommen, das ich in der Tasche hatte, und das waren Rilke-Gedichte. Ich hab dann sogar ein Gedicht aufgesagt. Das hat mir die anderen Bücher erhalten.
Was waren Ihre Eindrücke der damaligen Welt hinter dem Eisernen Vorhang?
Brix: Das Grundempfinden war: Es ist dunkel. Als ob das Licht anders wäre, und alle wirkten wie Teil einer Masse. Man hatte den Eindruck, das Individuum zählt nicht.
Da waren diese Besuche bei Regimekritikern ein ganz anderer Eindruck. Draußen waren diese schmutzigen Straßen und Fabriksanlagen, drinnen in den Wohnungen zählte die Familie, der Zusammenhalt. Man hat in den 1980ern dort die Dritte Welt gerochen. Es war tatsächlich der Geruch, dazu die Farbe, dunkel, grau. Als ich mein geliebtes Krakau zum ersten Mal gesehen habe, glaubte ich, ich bin auf einem anderen Planeten gelandet. Entsetzlich.
Busek: Ich bin bei meinen ersten Reisen auf Gruppen gestoßen, die in ihrer Einsamkeit imponierend waren. Familiengruppen. Ich muss heute noch schmunzeln, wenn man von Dissidenten spricht. Man ist irgendwo in einer Küche zusammengesessen und hat geredet, das war es eigentlich. Allein womit diese Leute ihre Schriften verfasst haben – 14 Blaupapier-Durchschläge auf der Schreibmaschine – das war schon sehr beeindruckend. Das nenne ich Tapferkeit.
Ich erinnere mich an eine Begegnung mit befreundeten tschechischen Regimekritikern. Ich fragte sie beim Abschied ganz blöd, was ich denn für sie tun könnte, etwas zum Essen oder zum Anziehen schicken vielleicht? Die Antwort war: „Nichts von dem, du sollst uns nur nicht vergessen.“
Wie sind Sie als Besucher aus dem doch verfeindeten kapitalistischen Westen eigentlich empfangen worden?
Busek: Wir sind mit offenen Armen empfangen worden. Die Leute waren dankbar, dass man sich für sie und ihr Leben interessiert, dass man wissen will, wie es bei ihnen aussieht. Wir haben dann oft Journalisten auf diese Reisen mitgenommen, damit diese Leute den Eindruck bekommen, dass sie sich endlich artikulieren können. Ich hab auch Manuskripte von Werken dortiger Autoren geschmuggelt, damit sie im Westen gedruckt werden können. Der Blick auf Österreich war auch ungeheuer positiv.
Brix: Es gab auch diesen verklärten Blick auf das größere Österreich, gerade in Polen, das war Legendenbildung. Die Liebe zum alten Kaiser Franz Joseph, gerade in Krakau, war ganz erstaunlich. In den Redaktionsstuben katholischer Zeitungen hing der Kaiser, das konnten auch die Kommunisten nicht verhindern. In Polen konnten sie sich überhaupt nicht durchsetzen, nicht einmal gegen die Geschichte.
Kapitalistischer Klassenfeind, das gab es nicht, solche Vorwürfe. Man war dort nur froh, jemanden von drüben zu kennen. Ich hab keinen Einzigen gesehen, der uns als Klassenfeind betrachtet hatte, eigentlich hab ich kaum jemals auch nur eine Person getroffen, die wirklich überzeugter, in der Wolle gefärbter Kommunist war.
Wie sehen Sie denn die damalige offizielle Politik Österreichs?
Busek: Mir hat man ja in Wien wegen dieser regelmäßigen Besuche vorgeworfen, ich sei gegen den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und außerdem „ostanfällig“. Ich musste dann Erklärungen für die EU abgeben. Im Außenministerium bin ich später als der „Minister für die befreiten Ostgebiete“ bezeichnet worden. Dass das eine Nazi-Bezeichnung war, ist dort gar nicht aufgefallen.
Brix: Es gab wirklich sehr geringes Interesse im Außenministerium, viele, die mit Regimekritikern im Osten nichts zu tun haben wollten. Selbst als die Wende 1989 da war, gab es aus den österreichischen Botschaften Berichte, die nicht sehr hilfreich waren.
In den großen Parteien war es nicht möglich, für diese Wende einzutreten. Da gab es vor allem bei den Sozialdemokraten die Überzeugung, der Sozialismus werde sich langsam wandeln, und in diesen Ländern würden sozialistische Parteien übernehmen. So hat man etwa die Kontakte mit den DDR-Größen bis zum letzten Moment aufrechterhalten.
Busek: Viel zu lange wurden damals von österreichischen Spitzenpolitikern noch die kommunistischen Regierungen hofiert, weil es da langjährige Beziehungen gab. Zugleich wurde Persönlichkeiten wie Vaclav Havel noch im Sommer 1989 ein Treffen mit der Regierung verweigert, sogar dann, als Havel gerade einen Preis bekommen hatte. Havel hat mir das später jahrelang vorgehalten.
Ein Verständnis für eine Nachbarschaftspolitik in Richtung Osten oder für eine Diskussion hat es nicht gegeben. Es war ein Unthema. Man hat sich halt drauf geeinigt, dass das dem Busek sein Hobby ist. Bundeskanzler Alois Mock hat es toleriert.
Und wie sehen Sie Österreichs Position heute, 30 Jahre danach?
Busek: Hat es heute noch Sinn, darüber zu reden? Ja, natürlich. Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren um Mitteleuropa nicht sehr gekümmert. In der Kritik an Leuten wie (Ungarns Premier Viktor) Orbán ist das alles untergegangen.
Brix: Weil man Mitteleuropa vernachlässigt hat, haben wir leider auch die Chance verpasst, innerhalb der EU aktiv an einem Reformprozess mitzuwirken. Das wäre der Auftrag, den wir jetzt haben. Wir haben eine Chance, wenn wir Partner finden, Europa weiterzuentwickeln.
Nach 1989 hat auf unserer Seite 20 Jahre lang der Respekt gefehlt, auch weil es so einfach war für die österreichischen Unternehmen, Profit zu machen. Der Respekt ist heute da, und das macht es leichter, auch die Spaltung zu überwinden. Die ist ja jetzt viel größer, das heißt, es wird Zeit, endlich wieder ernsthaft über Mitteleuropa zu reden.
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