Militär-Experte: „Die Sanktionen haben Russland sogar irgendwie gestärkt“

Walter Feichtinger, Militärexperte am Center für strategische Analysen Austria, erwartet Cyberangriffe und Propagandakrieg

KURIER: So unverhohlen wie Putin hat seit dem Zweiten Weltkrieg noch keine Atommacht mit militärischer Gewalt gedroht. Will er die ganze Ukraine einnehmen?

Walter Feichtinger: Möglich, dass das seine oberste Intention ist. Ob es aber realistisch ist, ist wieder etwas anderes. Russland hat zwei Möglichkeiten, außenpolitisch Druck zu machen: einerseits militärisch, andererseits mit Energie – also Öl, Gas und Kohle. Viele ausländische Kunden sind davon abhängig.

Checkpoint mit Walter Feichtinger

Halten Sie einen russischen Angriff auf die Millionenstadt Kiew für denkbar?

Einen militärischen Vorstoß halte ich für unwahrscheinlich. Aber es ist möglich, dass von Moskau aus Unruhe in Kiew gesteuert wird – mit Sabotageakten, Demonstrationen bis hin zu Terroranschlägen. Der Propagandakrieg wird fortgesetzt. Ich schließe auch Cyberangriffe nicht aus – es könnte die Verwaltung lahmgelegt, in den Flughafen oder in Stromnetze eingegriffen werden. Russland ist für eine hybride Kriegsführung gut aufgestellt.

War das alles lange geplant?

Russland hat seit seinem Einmarsch in Südossetien 2008 sein Militär unglaublich modernisiert. Die Sanktionen nach der Krim-Annexion haben Russland sogar irgendwie gestärkt: Es hat sich unabhängiger von Importen gemacht und die Kooperation mit China vertieft. Für Putin war es nicht akzeptabel, dass die Ukraine in Richtung Westen abdriftet.

Checkpoint mit Walter Feichtinger

Russland argumentiert, dass 1990 versprochen wurde, die NATO-Erweiterung Richtung Osten nicht fortzusetzen.

Ein Mythos. Damals war ja noch keine Rede von der Auflösung der Sowjetunion. Andererseits gab es Bestrebungen, Russland in die NATO-Erweiterung einzubeziehen. Im Nachhinein betrachtet, war der Westen Russland gegenüber wahrscheinlich zu wenig empathisch. Aber in den Neunzigerjahren war Europa mit dem Westbalkan und dem jugoslawischen Zerfall beschäftigt und überfordert.

Ist das pazifistische Europa nun auf einem Scheideweg?

Die Pläne für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind alle verpufft. Es ist eine Schande, wieder nach den USA rufen zu müssen. Die haben jetzt aber andere Prioritäten und schauen längst in den pazifischen Raum. China kann in Ruhe warten, wie die USA reagieren und ob der Konflikt Europas Zusammenhalt spaltet. Nicht alle wollen die Sanktionen mittragen. China und Russland haben ein gemeinsames Ziel: die Macht der USA zu brechen.

Europa, speziell Österreich ist sehr abhängig von russischem Gas.

Vor 15 Jahren hätten wir die Nabucco-Pipeline als Alternative gehabt. Da hätte man aus anderen Weltregionen inklusive Iran Öl und Gas besorgen können, um die einseitige Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Leider ist das gescheitert. Die Energiepreise werden steigen, und es ist fraglich, ob es überhaupt genug Kapazitäten gibt. Da müssen viele Schiffe kommen, um russische Lieferungen zu kompensieren.

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