"Kampf" um qualifizierte Zuwanderer

Neben Technikern werden in Österreich vor allem im Gesundheitsbereich (Bild: philippinisches Pflegepersonal) Zuwanderer gebraucht.
Die Wirtschaft warnt: Wird Europa nicht attraktiver, bedroht ein Fachkräftemangel die Sozialsysteme.

In der kurzfristigen Debatte zur Flüchtlingspolitik sind die EU-Staaten in der Defensive: Es geht um dichtere Grenzen, die Zerstörung von Booten, Quoten zur Verteilung – und jedes Land scheint als Ziel zu haben, möglichst wenige Zuwanderer aufnehmen zu müssen.

Geht es um langfristige Migrationsstrategien, zeichnet sich ein umgekehrtes Bild ab: Die Gesellschaften in Europa altern, die Erhaltung der Sozialsysteme ist von Zuwanderung abhängig, schon jetzt herrscht vielerorts akuter Fachkräftemangel – und die Länder stehen im europaweiten und globalen Wettbewerb um qualifizierte Einwanderer.

"Der Kampf um internationale Talente wird noch stärker werden als er schon ist", sagt Martin Gleitsmann, in der Wirtschaftskammer Abteilungsleiter für Sozialpolitik und Gesundheit. Er hat zwei Faktoren ausgemacht, wieso viele Betriebe in der EU derzeit trotz vergleichsweise hoher Arbeitslosigkeit Schwierigkeiten haben, Fachkräfte zu finden: "Einerseits stimmen die am Arbeitsmarkt angebotenen Qualifikationen oft nicht mit dem Bedarf der Arbeitgeber überein", sagt Gleitsmann. Gleichzeitig "ist die Mobilität in Österreich und in der EU sehr niedrig. Es ist schon nahezu ausgeschlossen, einen Wiener nach Tirol zu bringen oder umgekehrt." Nur drei Prozent aller Beschäftigten in Europa würden derzeit im EU-Ausland arbeiten.

"Klippensprung droht"

Auf die EU-Binnenmigration könne man sich nicht verlassen, sagt Mattias Mayer, Experte für Wirtschaftsmigration bei der deutschen Bertelsmann-Stiftung: Die Krise in Südeuropa werde abnehmen, und auch die ärmeren EU-Staaten stünden vor dem Problem einer alternden Gesellschaft. Ergo brauche man immer mehr Zuwanderung aus Drittstaaten: "Wenn die Babyboomer in Pension gehen, droht ein demografischer Klippensprung", warnt Mayer.

Hohe Hürden

Um die EU für qualifizierte Migranten attraktiver zu machen, fordern die Experten eine Vereinfachung der Regelungen. Auch die Hürden sollten gesenkt werden: Um etwa in Österreich mit der "Blauen Karte" der EU eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, muss man mindestens 4100 Euro brutto monatlich verdienen – zu viel, sagen die Experten. Auch die – je nach Alter – 2300 bis 2700 Euro Mindestlohn, die für die heimische "Rot-weiß-Rot-Karte" erforderlich sind, seien in vielen Jobs gerade für Junge nicht erreichbar, kritisiert Gleitsmann. Trotz "Blauer" und "Rot-Weiß-Roter" Karte sind 2014 nur 2000 Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten nach Österreich gekommen.

Gleitsmann fordert, die "Blaue Karte" um einen Talentepool zu erweitern: Interessenten aus Drittstaaten sollen sich für einen Arbeitsplatz in Europa bewerben können – und Arbeitgeber aus der ganzen EU in diesem Pool nach neuen Mitarbeitern suchen.

Ein völlig überfülltes Lager, verfallende Struktur und Gewalt: Die katastrophalen Zustände im größten Flüchtlingslager Europas, "Cara" in Mineo auf Sizilien, wo derzeit 4000 Personen untergebracht sind, sorgen für Diskussionen. Nun hat die Organisation Medu, Ärzte für Menschenrechte, die inhumanen Zustände in der Einrichtung, die eine Autostunde von Catania entfernt liegt, vor einer Parlamentskommission in Rom angeprangert: Platzmangel, isolierte Struktur, zu lange Wartezeiten, unzumutbare hygienische Zustände sind nur einige der Kritikpunkte.

Von außen wirken die pastellfarbenen Häuser, die einst für Familien des nahen US-Militärstützpunktes Sigonella gebaut wurden, fast ansprechend. Doch der Eindruck täuscht. Am Eingang des Lagers, das für maximal 3200 Personen ausgelegt ist, stehen Soldaten mit Maschinenpistolen vor Panzerfahrzeugen. Ein Medu-Team aus Psychiatern, Psychologen und Mediatoren hat ein Jahr lang wöchentlich die Anlage besucht und die Berichte von Flüchtlingen protokolliert. In ihrem Dossier prangern die Ärzte den fehlenden Zugang der Asylbewerber zum staatlichen Gesundheitssystem sowie zu psychologischer und rechtlicher Beratung an. "Cara Mineo ist ein Modell, das menschenunwürdig ist", so das Urteil.

Warteschlangen vor WC Immer wieder gelangen Bilder von kaputten, verschmutzten Sanitäreinrichtungen und desolaten hygienischen Zuständen der Anlage an die Öffentlichkeit. Vor Toiletten und vor Essensausgaben bilden sich lange Warteschlangen. Außerdem ist laut der Ärzteorganisation die Struktur ungeeignet, um traumatisierte Menschen, die Erniedrigung und Folter erlitten haben und in sehr großer Zahl im Lager anzutreffen sind, adäquat zu betreuen. In Mineo muss man durchschnittlich 18 Monate – gesetzlich sind 35 Tage vorgeschrieben – bis zum Abschluss der Verfahren für die Gewährung internationalen Schutzes warten.

Im Zuge der Korruptionsermittlungen von "Mafia Capitale" (Hauptstadtmafia) Ende 2014 geriet die "Cara" von Mineo ins Visier der Justiz. Dabei wurden illegale Millionen-Geschäfte im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften aufgedeckt. Diese wurden von einem Kabinettssekretär des früheren römischen Bürgermeisters Veltroni koordiniert.

Viele Flüchtlingsunterkünfte in Italien sind in einem dermaßen schlechten Zustand, dass laut Bericht des Europarat-Menschenrechtskommissars deutsche Verwaltungsgerichte Abschiebungen nach Italien unterbinden.

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