Merkels heikle Türkei-Visite

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erläutern am 31.10.2012 im Bundeskanzleramt in Berlin die Ergebnisse ihres vorangegangenen Gespräches. Im Mittelpunkt des Treffens stand der Bürgerkrieg in Syrien und die Lage der syrischen Flüchtlinge. Foto: Tim Brakemeier/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Die Kanzlerin will Ankara ein bisschen entgegenkommen – bleibt aber im Grunde reserviert.

Der erste Programmpunkt auf der dritten Türkei-Reise der deutschen Kanzlerin Angela Merkel war völlig unproblematisch – ein Heimspiel gleichsam. Am Sonntag besuchte sie die rund 300 Soldaten der Bundeswehr, die nur 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt im Rahmen einer NATO-Mission für die Patriot-Abwehrrakten-Staffel verantwortlich sind – gemeinsam mit Holländern und Amerikanern sollen sie für den Schutz des Frontstaates Türkei sorgen.

Von den Ausläufern des nahöstlichen Minenfeldes ging es noch am Abend weiter in eines der faszinierendsten Gebiete im Land am Bosporus, nach Kappadokien. Was für Touristen ein klares Muss jeder Türkei-Reise ist, kann in diesem Zusammenhang nur als ungewöhnlich eindeutiges Polit-Statement gewertet werden: Mit dem Abstecher zu den frühchristlichen Höhlenkirchen wollte die Kanzlerin den wenigen Christen des Landes symbolisch den Rücken stärken.

Treffen mit Erdogan

Ein mutiger Akt vor den heutigen Gesprächen in Ankara mit Premier Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül. Diese bergen einige Brisanz, hat sich doch Deutschland unter Merkel als einer der stärksten Bremser eines türkischen EU-Beitrittes profiliert, was das bilaterale Verhältnis belastet.

Mehr zur Beitrittsdebatte und einen Kommentar lesen Sie in "EU? Nein, danke."

Doch zuletzt kamen sanftere Töne aus Berlin. „Deutschland steht zu dem (EU-)Prozess“, hatte die Kanzlerin Erdogan im Oktober 2012 in der Bundeshauptstadt wissen lassen. Und kurz vor ihrer Abreise hatte sie vorgeschlagen, ein neues Verhandlungskapitel zu eröffnen, um Schwung in die Sache zu bringen – derzeit ist lediglich das Kapitel Wissenschaft und Forschung abgeschlossen, der Prozess ist de facto seit mehr als zwei Jahren auf Eis gelegt.

Dass dieses nun ein wenig zu schmelzen beginnt, ist weniger in der starken Ansage des deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger begründet, der gemeint hatte, dass ein deutscher Regierungschef „noch auf den Knien nach Ankara robben“ werde, um die Türken zu bitten, der EU beizutreten, als dem Abgang von Nicolas Sarkozy. Der frühere konservative französische Präsident bildete mit Merkel (und jeder österreichischen Regierung) eine breite Front gegen Ankara. Sarkozys Nachfolger, der Sozialist Hollande, ist weit gesprächsbereiter.

Ankara ist verärgert

Doch an der grundsätzlichen Haltung der Kanzlerin hat sich nichts geändert. Ebenso wie der österreichischen Bundesregierung ist ihr ein türkischer Vollbeitritt ein Gräuel, sie forciert eine privilegierte Partnerschaft. Davon will aber Ankara nichts wissen, das zugleich die Hinhaltetaktik Brüssels kritisiert und seine Fühler zuletzt zunehmend nach Osten ausgestreckt hat.

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