CSU

Merkel und Seehofer: Eine Frage der Macht

Selten ist der Streit in der Union so eskaliert wie jetzt. Welche Optionen bleiben der Kanzlerin noch?

Da stehen sie, fast wie zwei Wettkämpfer, doch wer hier gewonnen hat, ist nicht ganz klar: Horst Seehofer überreicht Angela Merkels einen Blumenstrauß, sie lächelt. „Wir sind dafür bekannt, dass wir es uns nicht immer einfach gemacht haben in unserem Leben“, gesteht sie da auf der Bühne der Messehalle in Nürnberg. Die Delegierten applaudieren zufrieden, manche stehen auf – es sind Szenen, die sich vor sechs Monaten am CSU-Parteitag abspielten. Der schwelende Streit um die Flüchtlingspolitik vom Sommer 2015 schien da endgültig überwunden.

Dass er nie vorbei war, zeigte sich in den vergangenen Tagen. Sie waren geprägt von Dauerfeuer, einem offenen Ultimatum und einem möglichen Kompromiss, von einer zweiwöchigen Frist für Merkel, die die CSU heute schnell wieder dementierte.

Nicht wenige deuten die hochnervöse Stimmung als Vorzeichen für ein mögliches Ende der Koalition. Daher blickt heute alles nach München, wo sich der CSU-Vorstand berät, ob Horst Seehofer den Auftrag bekommt, Zurückweisungen an der Grenze zu veranlassen. Genau an diesem Punkt entzündete sich der jüngste Streit der Schwesterparteien, den die CSU zur nun Machtfrage stellt. Dabei geht es längst nicht mehr nur um eine Verschärfung des Asylrechts – das ist bereits beschlossen, die Ankerzentren stehen ja im Koalitionsvertrag, ebenso wie eine weitere Begrenzung des Familiennachzugs.

Kurswechsel

Es geht mit Blick auf die Landtagswahl auch um einen Kurswechsel, der sich mit Islam-Debatte, Polizeiaufgabengesetz und Kreuz-in-allen-Amtsstuben andeutete. Der Bruch mit Merkel und der Politik für die sie steht, wäre die logische Konsequenz - so eine Lesart dieser Strategie. Auch wenn Seehofer am Wochenende in der Bild-Zeitung versicherte, keinen Sturz oder Fraktionsbruch im Sinne zu haben, lässt sich schwer nachvollziehen, was die CSU sonst umtreibt. Verständnis dafür gibt es ausgerechnet aus Merkels eigenen Reihen. Nicht wenige ihrer Kritiker unterstützen die Positionen, ein Zerwürfnis sehnt aber niemand herbei.

Ob sich das umschiffen lässt, wenn die Bayern nicht auf ihre Kompromissvorschläge eingehen? Gestern noch traf sie sich mit engen Vertrauten wie Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Die Kanzlerin setzt in der Streitfrage auf bilaterale Abkommen mit besonders betroffenen EU-Ländern wie Italien, Griechenland oder Bulgarien. Zeichen in diese Richtung kamen zuletzt von Manfred Weber, dem Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europaparlament. „Die CSU ist und bleibt Europapartei und wird das mit ihrem Parteivorstandsbeschluss klar zum Ausdruck bringen“, sagte er der FAZ.

Aber welche Optionen hat die Kanzlerin, wenn die Bayern in der heutigen Sitzung doch bei ihrer Forderung bleiben? Um den Autoritätsverlust zu vermeiden, müsste sie ihren Innenminister Seehofer entlassen. Bisher haben Kanzler nur Minister aus ihren Parteien in die Wüste geschickt, aber nicht jene einer anderen Partei. Die CSU würde dann die Fraktion aufkündigen, was ernsthafte Folgen hätte: Denn ist es mal vorbei mit der Partnerschaft, stünden sich zwei Konkurrenten gegenüber. Die CDU könnte in Bayern antreten, Befürworter gibt es genug.

Spinnt man diese Gedanken weiter, wäre der Fraktionsbruch auch das Ende der Koalition. Das würde vor allem die SPD kalt erwischen. Parteivorsitzende Andrea Nahles stellte sich am Samstag klar hinter Merkel, auch sie befürworte eine „europäische Lösung“. Harsch reagierte hingegen Malu Dreyer, SPD-Vize-Chefin, die Merkel und Seehofer aufforderte, die „würdelosen Machtspiele“ zu unterlassen. Auch in den anderen Parteien wäre man über Neuwahlen wenig erfreut, zudem könnten sie ohnehin erst nach einem längeren Prozedere vom Bundespräsidenten Steinmeier eingeleitet werden. Realistischer ist, dass man sich eine neue Regierungskonstellation überlegt. Die Grünen wären gewillt, mit der CDU zu arbeiten, Parteichef Habeck schloss Neuverhandlungen nicht aus. Seine Partei habe gezeigt, dass sie bereit sei, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die FDP brachte sich am Wochenende selbst ins Spiel. Dass Merkel mit Lindner zusammenarbeitet, der Jamaika platzen ließ und durchaus die Grenzen nach rechts austestet, ist schwer vorstellbar.

Eine Koalition ohne Kanzlerin? Dazu müsste sie zurücktreten, was ihre Gegner als Selbsteingeständnis für die Verfehlungen ihrer Politik deuten würden. Und Merkel weiß, dass es außenpolitisch ein fatales Signal wäre: Vor allem nach den Kontroversen mit Präsident Trump und dem Handelsstreit, stünde Deutschland und Europa geschwächt da.

Vertrauensfrage

Sollte sie bis morgen oder in den nächsten Tagen einen Vorschlag oder Kompromiss finden, den die CSU akzeptiert, würde sie Zeit gewinnen. Ihre Gegner werden weitermachen, die Nadelstiche an anderer Stelle setzen. Um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, müsste sie die Vertrauensfrage stellen, so Beobachter. Sie könnte ein für alle Mal klar stellen, wer ihre Politik im Bundestag noch unterstützt. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) hat es 2001 getan und überstanden - Merkel, damals noch CDU-Chefin, kommentierte dies als "Anfang vom Ende".

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