Merkel, die Anti-Drama-Queen

Ein Ass in Mathe und Russisch, aber bis heute nicht im Sport: Merkel
Das Erfolgsrezept Understatement der deutschen Kanzlerin wurzelt in der DDR-Biografie

Langlaufskier aus der DDR, linkisch getragen von der abgekämpften Frau in schrägem Stirnband und farbloser Fleece-Jacke: Die Bilder von Angela Merkel kurz vor ihrem weihnachtlichen Hinfaller im Schweizerischen Pontresina amüsieren die Deutschen.

Nicht wegen des erst eine erstaunliche Woche später diagnostizierten Becken-Anbruchs (Internet-Spott: „Po-Falla“ – nach ihrem um seinen Versorgungsjob bei der Bahn bangenden engsten Mitarbeiter der letzten Jahre, Ronald Pofalla), sondern wegen Merkels Outfit: Dem einer Frau, die sich demonstrativ nichts aus Mode zu machen scheint, einer im deutschem Durchschnittsgeschmack – von vor 20 Jahren. Das erinnert an ihre Paparazzi-Fotos im Badekleid aus dem Italienurlaub 2013.

Die Frau, die nun im neunten Jahr Deutschland so unbestritten wie kaum ein Vorgänger regiert und damit Europa etwas mit, gibt sich maximal unprätentiös: „Als Kind“, sagte sie einmal, „war ich ein kleiner Bewegungsidiot“. Sie habe daher ihre Erfolge „statt im Sport in Mathe und Russisch“ geholt, um in der DDR weiterzukommen.

„Kein Widerstand“

Die DDR-Biografie habe Merkels Verhältnis zu Äußerlichkeiten beeinflusst – und nicht nur zu denen, behaupten ihr Nahestehende: Sache ist wichtig, nicht ihre Verpackung. Und unterschätzt werden, kann nur nützlich sein.

Ihr frühes Leben ist inzwischen nicht nur politisch so gut dokumentiert, dass sicher ist: Sie war keine Profiteurin des Regimes, aber „auch wirklich keine Widerstandskämpferin“ (Merkel 2013). Die junge Angela Kasner blieb lange unauffällig und lebte den großen Ehrgeiz als Top-Physikerin aus.

Die Zwangsbeschränkung der DDR aufs modisch Zweckmäßige statt Zwanghafte wurde ihr Stil. Viel mehr als bei anderen der einstigen DDR-Elite: Bundespräsident Joachim Gauck, damals prominenter Pfarrer mit Westvisum, kostet seit Langem die gediegene westdeutsche Bürgerlichkeit so aus wie Gregor Gysi, der die Linkspartei aus der DDR herüber rettete und bis heute dominiert.

Merkel inszeniert sich minimalistisch“, analysierte die Welt zu ihrem Empfang der Sternsinger im Kanzleramt auf Krücken. Leidenschaftlich undramatisch sehen sie auch ihre bald zwei dutzend Biografen. Doch nichts, fast nichts ist Zufall, was über sie an die Öffentlichkeit dringt, politisch und privat, auch bei ihr nicht.

Authentisch

Aber es ist authentisch. Nie würde sie ihre Partei aus der Selbstverständlichkeit einer Nierenspende für den Ehepartner eine Pressekonferenz machen lassen wie 2013 Frank-Walter Steinmeier, inzwischen wieder ihr SPD-Außenminister. Gestellte Szenen wie einst von CDU-Kanzler Helmut Kohl mit (scheinbar) heiler Familie am Wolfgangsee oder des sich mit Gitarre als Jugend-Ikone inszenierenden SPD-Vorvorgängers Willy Brandt sind bei Merkel undenkbar. Auch wenn sie im Politikbetrieb gerne ihre Friseurin in Reichweite hat: Jede noch so kleine Übertreibung ist verpönt.

Ihre Aura nährt sich aus dem größtmöglichen Gegensatz von echter Machtfülle und äußerlichem Understatement. Und dessen Perfektion ist die maximale Privatsphäre. Das funktioniert im Medienzeitalter nicht von selbst: Fotos aus Merkels Wohnzimmer in prominenter Ostberliner Lage gibt es nicht und nur wenige vom ebenso dauerbewachten Ferienhaus am See ihrer ostdeutschen Heimatstadt Templin. Persönlicher Freund bleibt nur, wer darüber und die Konversation schweigt wie ein Grab. Sogar ihr Fan Reinhold Messner versucht das.

In Merkels einzigartiger Position wirkt aber schon die Absicht, keine Allüren zu zeigen, leicht als Allüre: Beschränkung des Lebensstils auf Substanzielles (Akzente wie bei Bayreuth-Premieren sind umso spektakulärer), eine authentische Intellektualität, echter Humor, und nicht zuletzt der notorisch öffentlichkeitsscheue, Nobelpreis-verdächtige Physiker-Ehemann. Das im Urlaub schrullige Outfit beider gerät da leicht in den Verdacht des selbstironischen Statements, der lustvollen Maximierung ihres politisch so erfolgreichen Prinzips des betonten Understatements.

Denn dass eine Kanzlerin auch ihre private Rolle nicht ohne politisches Kalkül spielen kann, zeigt Merkel am stärksten , wenn sie im Osten eigene DDR-Erinnerungen mobilisiert. Wer von dort solch einen Aufstieg schafft und den auch noch so dauerhaft, ist eben souverän. Trotz Uralt-Skier, deren DDR-Marke schon einst nicht zufällig an „Germania“ erinnerte.

1954 geboren in Hamburg, nahm ihr Vater als Pastor die Familie mit in die DDR. Sie war regime- kritisch, wurde aber nicht verfolgt. Angela Kasners erste Karriere als Physikerin endete 1989 im Top-Institut Ostberlins, wo sie auch ihren Mann Prof. Joachim Sauer traf. Er brachte einen Sohn in die Ehe, Merkel selbst ist kinderlos. Erst nach dem Mauerfall begann sie 1990 mit Politik als Sprecherin des ersten frei gewählten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere. Danach ging es rasant aufwärts: CDU-Kanzler Helmut Kohl machte sie als „Quoten-Ossi“ zur jüngsten Ministerin seines Kabinetts, später zur Umweltministerin. Unter CDU-Chef Schäuble wurde sie Generalsekretärin und dann dessen Nachfolgerin. Seit Oktober 2005 ist sie Kanzlerin.

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