London will Menschenrechtskonvention aussetzen

Premier Theresa May
Grund sollen "ärgerliche" Klagen aus den Kriegeinsätzen sein. Die Konsequenzen für das Königreich könnten aber weit schwerwiegender ausfallen, sagen Experten.

Die Briten planen sich von Teilen der europäischen Menschenrechtskonvention zu verabschieden, zumindest wenn es um ihre Armee geht. Das berichtet der britische Guardian. Grund ist eine Flut von Klagen von Kriegsopfern, die der britischen Armee Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. In künftigen Konflikten sollen Teile der europäischen Menschenrechtskonvention nicht mehr gelten.

Mehr als 100 Millionen Pfund sollen die Verfahrenskosten seit 2004 betragen. Premierministerin Therasa May sprach in diesem Zusammenhang von "ärgerlichen Klagen". Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon sagte, die rechtliche Situation wäre für "falsche Anschuldigungen" missbraucht worden und diese gefährden die Arbeit der britischen Armee. Es wird erwartet, dass May und Fallon demnächst konkrete Pläne vorstellen.

Durch eine Aussetzung würden aber nicht alle rechtlichen Aspekte aufgehoben – Das Verbot der Folter bleibt bestehen.

"Das wird unserem Militär mehr Sicherheit geben."

Verteidigungsminister Michael Fallon verspricht sich viel davon: "Das wird unserem Militär mehr Sicherheit geben." Das Folterverbot und die Genfer Konvention sollen aber weiter gültig sein. Fallon sagte laut Guardian: "Die Situation hat jenen Menschen viel Leid gebracht, die ihr Leben einsetzen, um uns zu beschützen. Es hat außerdem die Steuerzahler Millionen gekostet und es besteht das große Risiko, dass es unsere Armee daran hindert seinen Job zu machen."

Das britische Militär und rechte Interessensgruppen hatten schon länger einen solchen Schritt eingefordert. Sie bezogen sich dabei auf Klagen, die den Kriegseinsätzen im Irak und in Afghanistan folgten.

Großbritannien ist nicht das erste europäische Land, das solche Pläne verfolgt. Die Ukraine setzte 2015 die Menschenrechtskonvention aufgrund der anhaltenden Spannungen mit Russland aus. Frankreich setzte einen solchen Schritt nach den Anschlägen im November 2015 – unter anderem auf den Club Bataclan in Paris – an. Die Türkei tat dasselbe nach dem Putsch 2015.

Es ist "Parteitagszeit" nach dem Brexit

Die britische Politologin Melanie Sully erklärt das Vorgehen der britischen Regierung gegenüber Kurier.at vor allem mit seiner politischen Symbolkraft: "May muss Akzente setzen, um die Basis zu gewinnen." Es sei gerade "Parteitagszeit". Laut Sully ist die europäische Menschenrechtskonvention vor allem bei den Tories nicht sonderlich beliebt. Die Konsequenzen könnten allerdings schwerwiegend sein. Die europäische Gesetzgebung mitsamt der europäischen Menschenrechtskonvention sei für Sully der "Klebstoff, der das Königreich zusammenhält." Verabschiedet sich Großbritannien davon können demnach alle eigene Wege gehen. Ohne Plan sei die Gefahr groß, dass das Königreich zerfalle, so Sully.

Dazu passt, dass bereits kurz nach dem Brexit-Votum die Schotten ein erneutes Unabhängigkeits-Referendum ankündigten.

Widerstand regt sich

Menschenrechtsaktivisten laufen – wenig überraschend – schon jetzt gegen die Pläne der Regierung Sturm. Martha Spurrier entkräftet einige Argumente der Regierung für diesen Schritt. Laut der Leiterin von Liberty, einer britische Menschenrechtsorganisation, seien die meisten Klagen nicht "ärgerlich" und fielen außerdem in Bereiche, die sowieso nicht ausgesetzt werden könnten – wie eben das Verbot von Folter. Eine Aussetzung würde nur jenen helfen, die tatsächlich etwas zu verbergen hätten, ist sich Spurrier dem Guardian gegenüber sicher.

Eine Aussetzung sei nur möglich, wenn ein Krieg oder eine Katastrophe eintritt, die die Nation gefährden würde. Und: "Es sei geradezu ironisch, dass die Regierung eine Aussetzung verlangt. Viele der Konflikte – wie im Irak oder Afghanistan- werden im Namen der Menschenrechte geführt."

Der Argumentation der britischen Regierung, man befinde sich in einem Ausnahmezustand aufgrund der Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan, kann auch Menschenrechtsexperte Manfred Nowak im Gespräch mit Kurier.at nicht folgen. Er beobachtet schon lange eine starke Ablehnung der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Großbritannien. Nowak sieht die Gefahr, dass sich Großbritannien in Folge auch aus dem Europarat verabschieden könnte und sich damit weiter seiner internationalen Verantwortlichkeiten entzieht.

Im Gegensatz dazu habe Frankreich laut Nowak gute Gründe für eine Aussetzung der Menschenrechtskonvention aufgrund einer Ausnahmesituation. Nach den Anschlägen und auf der Suche nach den Attentätern könne Frankreich damit gewisse Rechte aussetzen, um die Bevölkerung zu schützen und die Befugnisse der Sicherheitskräfte auszudehnen. "Aber das birgt auch Gefahren", sagt Nowak. Aber im Prinzip sei die Aussetzung gerechtfertigt.

Der türkische Präsident wiederum hätte den Putschversuch dazu missbraucht, um mit der Verhängung des Ausnahmezustands schon lange vorbereitete Säuberungs-Maßnahmen gegen Journalisten, Wissenschaftler und Angehörige der Justiz, der Verwaltung und des Militärs „auf brutale Weise“ durchzuziehen.

Die europäische Menschenrechtskonvention

Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beinhaltet einen Katalog von Grundrechten und Menschenrechten. Für ihre Umsetzung ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zuständig. Es ist eine geschlossene Konvention, sie gilt nur für Mitglieder des Europarats.

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