Meister der Provokation: Björn Höcke, "der Teufel der AfD"

Björn Höcke.
Der Thüringer AfD-Chef bricht Tabus. Gerade deshalb ist er in seiner Partei eine bestimmende Kraft. Seinen Anhängern verkündet er die Rückkehr Deutschlands zum Nationalismus.

Jetzt ist schon wieder was passiert. AfD-Politiker Björn Höcke brach ein Interview im ZDF ab - mit einer Drohung. "Passen Sie auf, dann haben wir ein manifestes Problem. Ich kann Ihnen sagen, dass das massive Konsequenzen hat", sagte er zum Journalisten vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Im ZDF-Interview am Sonntag ging es um Höckes Sprachgebrauch. Was der AfD-Rechtsaußen in seinen Bierzeltreden, aber auch in seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" so formuliert, zielt darauf ab, die Grenzen des Sagbaren in Deutschland zu verschieben. Das ZDF hielt dem AfD-Politiker darum vor, selbst seine Parteikollegen könnten nicht beantworten, welcher Satz "noch Höcke oder schon Hitler ist".

Höcke ist AfD-Chef im Bundesland Thüringen. Ende Oktober wird dort gewählt, Höckes Partei liegt in Umfragen bei 21 Prozent. Er ist aber vor allem die Führungsfigur der völkisch-nationalen Gruppe in der AfD, die ganz offiziell "Flügel" heißt.

Nimbus des Anti-Politikers

In den vergangenen Jahren stieg er zum Liebling derjenigen auf, die auch innerhalb der AfD rechts stehen. Er gefällt sich in der Rolle der nationalen Erlöserfigur, und er möchte, obwohl AfD-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, nicht wie ein Berufspolitiker wirken. Höcke will als Ideologe gesehen werden, als rechter Avantgardist, der Tabus bricht. Damit bringt er auch Leute an die Wahlurnen, die sich vom demokratischen Prozess eigentlich verabschiedet haben.

2015 waren die Verhältnisse in der AfD noch ganz anders. Es war noch die Partei des gemäßigten Bernd Lucke, dann jene von Frauke Petry. Der nationale "Flügel" um Höcke galt als Hort der politischen Schmuddelkinder. Führende Vertreter der Alternative für Deutschland wollten den Rückzug von Höcke. Erst 2015 und dann noch einmal 2017 gab es Parteiausschlussverfahren gegen ihn.

Heute ist seine Position innerhalb der AfD besser denn je, alle Versuche, ihn kaltzustellen, sind gescheitert. Einer wie Höcke ist zwar nicht unumstritten - der Berliner Fraktionschef Georg Pazderski etwa warnt vor "Personenkult" -, aber der 47-Jährige genießt politische Beinfreiheit.

Höcke sieht sich aber auch als Gejagten, als Opfer der deutschen Medien und deren Geistes. Zugleich kokettiert er mit seinem Ruf. "Jetzt stehen Sie hier mit dem Teufel der AfD", sagte er einmal bei einem Waldspaziergang mit einer Spiegel-Reporterin. Und weil Höcke gerne beklagt, seine Zitate würden aus dem Zusammenhang gerissen, sei erwähnt, dass er da gerade auf der Teufelskanzel, einem Felsplateau in Thüringen, stand.

Völkisches Weltbild

Im Interviewbuch "Nie zweimal in denselben Fluss" legte der Frontmann der äußeren Rechten 2018 seine Visionen dar, wie ein Deutschland unter der AfD aussähe. Die 300 Seiten würden "ein antidemokratisches, völkisches Weltbild" offenbaren, schrieb der Spiegel. Den Nationalsozialismus behandle Höcke wie "ein gut gemeintes, aber leider etwas außer Kontrolle geratenes Experiment". Auch der deutsche Verfassungsschutz resümierte nach seiner Analyse des Buchs: "Nicht der Nationalsozialismus selbst, sondern die Niederlage von 1945 scheint für Höcke die eigentliche Katastrophe zu sein."

Höcke fabuliert zum Beispiel: "Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen. Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalten der Moderne beseitigt." Das Buch wirbt für ein um 180 Grad gewendetes Geschichts- und Selbstverständnis der Deutschen und natürlich für ein "großangelegtes Remigrationsprojekt", sprich Massenabschiebungen.

Überhaupt stellt der ehemalige Geschichtelehrer seine Thesen gerne in den größtmöglichen historischen Zusammenhang. "Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge wieder in Ordnung bring, ist tief in unserer Seele verankert", meint der Oberstudienrat.

Meister der Provokation: Björn Höcke, "der Teufel der AfD"

Holocaust-Mahnmal in Berlin.

Frontalangriff auf deutsche Erinnerungskultur

Einer breiten Öffentlichkeit wurde Höcke als deutschtümelnder Vorkämpfer bekannt, als er vor vier Jahren in der ARD-Talkshow von Günther Jauch die schwarz-rot-goldene Fahne über seine Sessellehne hängte. Besonders in Erinnerung ist auch seine Rede vom Jänner 2017 vor der AfD-Parteijugend: "Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat", schimpfte er damals über das Holocaust-Mahnmal in Berlin.

Damit griff Höcke die offizielle deutsche Gedenkkultur und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit frontal an. Die Rede habe "den Kern unseres Selbstverständnisses berührt", sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Alle anderen Parteien reagierten empört. Höcke gestand später lediglich ein, er habe "ein großes, wichtiges Thema leider in einer Bierzeltrede vergeigt".

Zu dieser Zeit blies Höcke auch in der eigenen Partei noch ein rauer Wind entgegen. Immerhin hatte er sich in derselben Rede zur Behauptung verstiegen: "Dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD."  Der AfD-Bundesvorstand unter Petry wollte Höcke 2017 noch aus der Partei ausschließen. Ein Gutachten im Auftrag des Bundesvorstands kam zum Schluss, der Begriff "vollständiger Sieg" entspreche eindeutig dem "Endsieg". "Die aufgepeitschte Menschenmenge, die Stimmlage des Redners und die Rufe 'Volksverräter' zeigen, dass hier eine Wesensverwandtschaft mit den Reden im Nationalsozialismus vorliegt", heißt es weiter.

Im Juni 2018 wurde das Parteiausschlussverfahren offiziell eingestellt. Gemäßigt hat sich Höcke aber keineswegs. Im selben Sommer witterte Höcke in einer Rede den "Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie".

Höckes Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" erschien übrigens im Antaios-Verlag von Götz Kubitschek. Dieser wohnt auf einem ehemaligen Rittergut in Sachsen-Anhalt und gilt als Chefstratege der Neuen Rechten. Kubitschek trifft sich regelmäßig mit AfD-Politikern und schulte auch die rechtsextremen Identitären. Der Verleger ist laut deutschen Medien auch ein Berater und Vertrauter von Höcke.

Kurz nach der Gründung der AfD im Jahr 2013 schrieb Kubitschek, das Thema Euro sei das "feine Thema, das Türöffner-Thema, und unsere Themen kommen hinterdreingepoltert, wenn wir nur rasch und konsequent genug den Fuß in die Tür stellen". Heute hat die Neue Rechte mit Björn Höcke nicht nur den Fuß in der Tür, sie sitzt gleichsam im Wohnzimmer der AfD.

"Vielleicht mal eine interessante politische Person"

Aus all diesen Gründen klingen Höckes jüngste Worte gegen den ZDF-Reporter in Deutschland so laut nach: "Wir beenden das Interview. Wir wissen nicht, was kommt. Dann ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird." Auf die Frage des ZDF-Manns, ob dies eine Drohung sei, sagte Höcke: "Vielleicht werde ich auch mal eine interessante politische Person in diesem Land, könnte doch sein."

Mitarbeit: Emilio Haumer

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