Wer nicht spurt, fliegt
Beobachter machen für die Misere einen Mann verantwortlich: Erdoğan. Er persönlich zwingt Notenbank wie Finanzminister, die Zinsen niedrig zu halten, im Vorjahr wurden sie sogar mehrmals gesenkt und liegen derzeit bei rund 14 Prozent.
Wer nicht mitzieht, weil er der gängigen Volkswirtschaftslehre anhängt, dass höhere Zinsen das wirksamste Mittel gegen Inflation sei, wird gefeuert. So hat der Staatspräsident seit 2019 schon drei Zentralbank-Gouverneure und zwei Finanzminister verbraucht.
Die galoppierende Inflation ist auch ein Hauptgrund für den Verfall der türkischen Lira. Im Vergleich zum Euro hat sich ihr Wert im Vorjahr am Höhepunkt im Dezember mehr als halbiert. Für einen Euro bekam man fast 19 Lira (im Jänner waren es knapp 9), jetzt sind es knapp 15 Lira.
Die leichte Erholung ist primär auf die Intervention der Notenbank zurückzuführen, die laut Schätzungen allein im Dezember 17,6 Milliarden Euro ausmachte. Und ein wenig auch auf den Aufruf Erdoğans an alle Türken, Euro, US-Dollar oder britische Pfund auf Lira-Konten einzuzahlen. Dort erhält man bei staatlichen Banken nun Zinsen bis zu 18 Prozent, bei privaten noch mehr.
Für die Menschen im Land am Bosporus ist der Lira-Verfall neben der Inflation die zweite bittere Pille, die sie schlucken müssen. Denn selbst normale Importwaren wie italienische Nudeln oder Schweizer Käse werden so zu unerschwinglichen Luxusgütern.
Kein Wunder, dass der Unmut über den Staatschef steigt. Laut jüngsten Umfragen hat seine regierende AKP erstmals überhaupt, seit dem sie an der Macht ist (2002), die Mehrheit verloren. Ein Jahr vor dem regulären Wahltermin schlägt Erdoğan daher wild um sich: Den oppositionellen Bürgermeistern der Metropolen Istanbul und Ankara droht er etwa mit Absetzung.
Für EU-Bürger, die es nach Istanbul oder an die türkischen Strände zieht, ist die schwache Lira freilich eine gute Nachricht. Noch nie war dort ein Urlaub so billig wie heuer. In Vor-Corona-Zeiten pilgerten 2019 mehr als 400.000 Österreicher in das Mittelmeerland, aus Deutschland gar mehr als fünf Millionen.
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