Massaker in Ost-Ghuta: "Und die Welt schaut nur zu"

Knapp überlebt: Ein Retter bringt ein Mädchen in Ost-Ghuta in Sicherheit
Diktator Assad lässt 400.000 Menschen rund um die Uhr bombardieren. Internationale Kritik wird laut.

„Der Kampf eines Regimes (...) gegen seine eigene Bevölkerung, die Tötung von Kindern, das Zerstören von Krankenhäusern, all das ist ein Massaker, das es zu verurteilen gilt.“

Angela Merkel fand am Donnerstag klare Worte für die Katastrophe, die sich im syrischen Ost-Ghuta abspielt - einem der letzten Gebiete in dem Bürgerkriegsland, das noch in Rebellenhand ist.

Mit ihrer Kritik am Dauerbombardement durch die syrische und die mit ihr verbündete russische Luftwaffe ist die deutsche Kanzlerin nicht allein. "Der Tod regnet auf Ost-Ghuta", beschreibt die US-Zeitung Washington Post die Lage.

"Neues Aleppo"

UN-Generalseketär Antonio Guterres spricht von der "Hölle auf Erden", internationale Beobachter von einem "neuen Aleppo" (die syrische Stadt war bis Ende 2016 vier Jahre lang umkämpft und lag großteils in Trümmern) und einem "neuen Srebrenica" (in der bosnischen Enklave töteten bosnische Serben 1995 rund 8000 Menschen, vor allem Männer und Buben).

Und dabei Ost-Ghuta ist nur ein Schauplatz des fast sieben Jahre dauernden Krieges, wenn auch der derzeit brutalste.

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Massaker in Ost-Ghuta: "Und die Welt schaut nur zu"
TOPSHOT - Wounded Syrians wait to receive treatment at a make-shift hospital in Kafr Batna in the besieged Eastern Ghouta region on the outskirts of the capital Damascus following Syrian government bombardments on February 21, 2018. Syrian jets carried out more deadly raids on Eastern Ghouta as Western powers and aid agencies voiced alarm over the mounting death toll and spiralling humanitarian catastrophe. / AFP PHOTO / Amer ALMOHIBANY

Mehr als 400.000 Menschen sind in dem von islamistischen Milizen kontrollierten Gebiet nahe Damaskus seit Monaten eingekesselt, Hilfskonvois erreichen sie nur sporadisch.

Hunderte Tote

Die Bewohner Ost-Ghutas sind Kämpfe gewöhnt, mehr als fünf der mittlerweile sieben Kriegsjahre wird die Region von Truppen des Machthabers Bashar al-Assad attackiert. 2013 setzte die Armee hier Giftgas ein.

"Luftschläge sind nicht neu für uns", berichtete ein Krankenhausleiter dem Sender CNN, "aber so etwas wie die jüngste Eskalation haben wir noch nie gesehen."

Im Visier sind laut dem Regime in Damaskus lediglich Terroristen, tatsächlich werden auch Wohnhäuser, Schulen und Spitäler angegriffen. Seit Anfang Februar starben mindestens 360 Menschen, knapp 900 wurden verletzt. Die wahre Opferzahl liegt wahrscheinlich deutlich höher.

Auf Initiative Russlands soll der UN-Sicherheitsrat am Donnerstag (ca. 18 Uhr MEZ) über die Lage in Ost-Ghuta beraten.

Schweden und Kuwait bereiten einen Resolutionsentwurf vor, der eine 30-tägige Feuerpause für Syrien fordert und über den vielleicht noch heute abgestimmt werden könnte. Die USA wollen der Resolution zustimmen, aus Russland gab es noch keine Reaktion.

Die Menschen in Ost-Ghuta, die sich in Kellern und Bunkern verschanzen, haben indes kaum noch Hoffnung.

"Wir haben keinen Ausweg und kein Land wird uns Zuflucht gewähren. Alles, was wir noch haben, sind diese Keller", sagt der 39-Jährige Abu Mohammed al-Afa der französischen Nachrichtenagentur AFP. "Die Angst ist enorm, und die ganze Welt schaut nur zu."

Das Leiden der Menschen in der eingeschlossenen syrischen Rebellenenklave Ost-Ghouta geht unvermindert weiter. Auch am Donnerstag wurden die Ortschaften in dem Gebiet östlich der Hauptstadt Damaskus massiv bombardiert. In einer Dringlichkeitssitzung soll der UN-Sicherheitsrat über einen Aufruf zu einer Feuerpause beraten.

Allerdings deutete die Vetomacht Russland als Verbündeter Syriens Widerstand an. Eine Feuerpause zu erreichen sei ein langer und komplexer Prozess. Im nordsyrischen Afrin bezogen regierungstreue Milizen Positionen an der Front, um die Kurdenmiliz YPG im Kampf gegen die türkische Offensive zu unterstützen.

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Seit Sonntag liegt das letzte größere von Rebellen kontrollierte Gebiet nahe Damaskus nahezu unter Dauerbeschuss. Über 300 Menschen wurden getötet und mehr als 1550 verletzt. In dem seit 2013 von Regierungstruppen eingeschlossen Gebiet leben 400.000 Menschen, die hungern und wegen zerstörter Krankenhäuser kaum noch medizinisch versorgt werden können. Die Bombardements sind Teil einer Offensive an mehreren Fronten, mit der Präsident Bashar al-Assad den Sieg erzwingen will.

Kritik von Angela Merkel

Am Donnerstag bombardierten nach Darstellung von Einwohnern und Rebellen russische Flugzeuge aus größer Höhe mehrere Ortschaften in der Enklave. Zudem hätten Hubschrauber erneut die wegen ihrer Splitterwirkung geächteten Fassbomben abgeworfen, berichteten Rettungskräfte. In der Ortschaft Hasa seien ein Feldhospital und eine Bäckerei bombardiert worden. Einwohner und die Opposition werfen der syrischen Regierung und deren Verbündeten vor, durch Zerstörung der Infrastruktur eine Politik der verbrannten Erde zu verfolgen. Die syrische Armee und Russland bestreiten, zivile Einrichtungen ins Visier zu nehmen.

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Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel warf der Regierung Assads vor, Krieg nicht gegen Extremisten, sondern das eigene Volk zu führen. "Die Tötung von Kindern, das Zerstören von Krankenhäusern - all das ist ein Massaker, das es zu verurteilen gilt." Die Europäer müssten sich stärker um ein Ende des Konflikts bemühen. "Diese Aufforderung gilt auch für die Verbündeten des Assad-Regimes, ganz besonders Iran und Russland." Außenminister Sigmar Gabriel werde mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow sprechen.

Russland hat für Donnerstag eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates zu dem Thema beantragt. Der UN-Sonderbeauftragte Staffan De Mistura sagte, er hoffe, dass sich das Gremium auf den Aufruf zur dringend benötigten Feuerpause verständigen könne. "Wir werden von der Geschichte beurteilt." Er sagte der Nachrichtenagentur Reuters in Genf, er hoffe auf eine Resolution. "Aber es ist mühsam."

Ein "totaler Krieg gegen Terroristen"

Der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow sagte, verantwortlich für die Lage in Ost-Ghouta seien diejenigen, die Terroristen unterstützten. Russland, Syrien und der Iran führten dagegen "einen totalen Krieg gegen Terroristen".

In der nordsyrischen Region Afrin rückten nach Angaben der Kurdenmiliz YPG Hunderte Kämpfer regierungstreuer Milizen bis zur Front vor. Allerdings seien nicht genügend Milizionäre entsandt worden, um den türkischen Vormarsch stoppen zu können, sagte YPG-Sprecher Nouri Mahmoud. Daher müsse die syrische Armee eingreifen und ihre Pflicht erfüllen, die Staatsgrenze zu schützen.

Die türkische Regierung widersprach Angaben zu getöteten Zivilisten bei der türkischen Offensive in Nordsyrien. "Bei den Operationen der türkischen Streitkräfte gab es bis heute keinen einzigen Zivilisten in der Region, dem auch nur die Nase geblutet hat, geschweige denn, der ums Leben gekommen ist", sagte Vize-Ministerpräsident Bekir Bozdag der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag. Die Türkei werde die Offensive fortsetzen, bis sie die Region von "den Terrororganisationen und ihren Terroristen gesäubert hat".

Offensive begann Mitte Jänner

Die Ko-Vorsitzende der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Pervin Buldan, bezeichnete die Darstellung, dass aus Regierungssicht nur "Terroristen" getötet würden als "Lüge". "Die Regierung verbreitet Fehlinformationen, wenn sie sagt, dass es keine zivilen Toten gebe", sagte sie am Donnerstag vor Auslandskorrespondenten in Istanbul. Ihre Partei fordere ein sofortiges Ende des Militäreinsatzes in Afrin.

Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind bei der türkischen Offensive gegen die YPG in der Region Afrin 112 Zivilisten getötet worden, darunter 23 Kinder. Die türkische Armee hatte die Offensive am 20. Jänner begonnen. Bozdag sagte am Donnerstag, sollten regierungstreue syrische Milizen in der Region die YPG unterstützen, "dann werden auch sie nicht verschont. Wer auch immer versucht, neben diesen Terrororganisationen gegen die türkischen Streitkräfte zu kämpfen, wird für uns zur Zielscheibe."

Die Türkei betrachtet die syrische YPG-Miliz als verlängerten Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die YPG hat die Regierung in Damaskus um Hilfe gebeten und aufgefordert, Truppen zur Sicherung der Grenze zu schicken. Die Regierung entsandte aber keine regulären Einheiten, sondern mit ihr verbündete Milizen. Damit vermeidet sie eine direkte Konfrontation mit dem Nachbarn Türkei.

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