Wird die kämpfende KI den Soldaten ersetzen?

Drohnenwälle, unbemannte Panzer, Zielerfassung mit Künstlicher Intelligenz. Immer mehr Start-ups versprechen „innovative“ Lösungen in puncto Kriegstechnik. Und tatsächlich hat mit dem Krieg in der Ukraine eine Revolution in der Kriegsführung begonnen, die nicht mehr aufzuhalten scheint.
Die Frage ist: Wohin führt diese Entwicklung? Wird am Ende der Mensch als Soldat nicht mehr notwendig sein? Ist es möglich, die Kriegsführung den Maschinen zu überlassen? Und wäre es nicht schlecht, dadurch menschliches Massensterben zu verhindern?
Oberst Markus Reisner, Leiter des Institutes für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie, widerspricht im KURIER-Gespräch entschieden: „Entscheidungen über Leben und Tod dürfen nicht an Algorithmen delegiert werden. Wir müssen diese Verantwortung tragen – dafür sind wir Menschen“, sagt er. „Wir laufen Gefahr, ein neues Orakel von Delphi zu schaffen“, fährt Reisner mit Blick auf Quantencomputer, die irgendwann militärische Entscheidungen berechnen könnten, fort.
KI macht Fehler
Der Mensch aber sei durch seine Intuition und seine Verantwortung einzigartig – beides könne keine Maschine ersetzen. Sowohl in Gaza als auch in anderen Kriegen zeigte die Künstliche Intelligenz bereits, dass sie fehleranfällig ist – etwa zivile Fahrzeuge nicht immer von Militärischen unterscheiden kann.
Vollautonome Waffensysteme, die Ziele selbstständig auswählen und bekämpfen, würden die Grundfesten des Völkerrechts erschüttern. Viele als revolutionär vorgestellten Projekte seien vor allem Marketinginstrumente der jeweiligen Firmen. „Die Tücke liegt im Detail“, sagt Oberst Reisner. Wie in jeder Profession unterschätze der Laie die Komplexität.
So könne ein „Drohnenwall“ zwar kurzfristig den Gegner abschrecken, doch durch Cyber-Attacken, Sättigungsangriffe oder Elektronische Kampfführung rasch überwunden werden. „Man beachte zum Beispiel die französische Maginot-Linie oder den deutschen Atlantikwall im Zweiten Weltkrieg – beide konnten überwunden werden“, sagt Reisner. Beide Verteidigungsanlagen galten als extrem stark befestigt.
Dennoch geht der Rüstungswettlauf zwischen den Weltmächten mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Am Schlachtfeld sind teilautonome Systeme unverzichtbar geworden – etwa als Schutz für Soldaten, für Logistik oder Aufklärung. Doch sie bleiben Hilfsmittel und werden in der Regel von Menschen gesteuert oder kontrolliert. Den menschlichen Soldaten ersetzen können sie nicht.
Nur Feuerkontrolle
„Willst du Gelände nutzen, Ressourcen abbauen oder eine Bevölkerung kontrollieren, musst du physisch präsent sein“, erklärt Reisner. Eine Drohne kann ein Dorf unter Feuer nehmen und so eine „Feuerkontrolle“ erreichen. Ordnung durchsetzen kann sie aber nicht. Auch wenn Roboter logistische Aufgaben wie Verwundetentransport oder Munitionsnachschub übernehmen, bleibt für Reisner der menschliche Soldat unverzichtbar.
In der Nacht vom 26. September 1983 meldete das Satelliten-Frühwarnsystem dem sowjetischen Oberstleutnant Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow den Start mehrerer US-Interkontinentalraketen. Nach Vorschrift hätte Petrow den Alarm an die Führung melden müssen – ein sowjetischer Gegenschlag wäre die Folge gewesen. Doch Petrow zweifelte: Nur fünf Raketen seien gestartet, zu wenig für einen Erstschlag. Außerdem meldeten die Bodenradare keinen Einschlag. Statt die Meldung weiterzuleiten, stufte er den Alarm als Fehlfunktion ein. Er behielt recht – Sonnenreflexionen auf Wolken hatten die Sensoren getäuscht. Durch seine Entscheidung verhinderte er möglicherweise einen Atomkrieg.
Rüstungswettlauf
Allerdings schlagen KI-Piloten bereits menschliche Kampfpiloten.Wäre es nicht verantwortungslos, auf einen solchen Vorteil zu verzichten?
„Wenn China Roboterflugzeuge einsetzt, um Luftüberlegenheit zu erlangen, werden die USA nachziehen müssen“, warnt Reisner. Militärische Logik bedeute, jeden Vorteil zu nutzen – auch wenn er in eine gefährliche Spirale führe.
Er hatte mitgeholfen, Google zu dem zu machen, was es heute ist, im Jänner 2024 verkündete Eric Schmidt, für die Ukraine KI-gestützte Abfangdrohnen entwickeln zu wollen.
Diese sollen mittlerweile im Einsatz sein. Die ukrainische Ekonomichna Pravda berichtet, sie spielten eine entscheidende Rolle dabei, der Ukraine beim Abschuss russischer Shahed-Drohnen zu helfen.
Ukrainische Militärquellen erklärten gegenüber dem Medium, dass Schmidts Firma „Swift Beat“ den ukrainischen Verteidigungskräften drei Drohnentypen zur Verfügung gestellt habe. Es heißt, die Systeme seien für rund 90 Prozent der von Drohnen abgefangenen russischen Shaheds verantwortlich. Die anderen beiden Typen seien FPV- und Langstrecken-Angriffs-Drohnen.
Sie sollen mit fortschrittlicher KI-gestützter Zieltechnologie sowie einem sicheren Kommunikationssystem ausgestattet sein, das sich bisher als widerstandsfähig gegen russische elektronische Kriegsführung erwiesen habe. Kritiker befürchten, dass der Tech-Milliardär die Ukraine nur als Laboratorium für die Entwicklung KI-gestützter Kriegsführung sieht. Er selbst betont stets, dass Menschen in die Letztentscheidung eingebunden werden müssten. ArAr
Hoffen auf Vernunft
Erst politische Vernunft könne solche Eskalationen bremsen, wie Abrüstungsinitiativen im Kalten Krieg gezeigt hätten. „Da gibt es zum Glück gute Beispiele, wie etwa nukleare Abrüstungsinitiativen zwischen den USA und der Sowjetunion oder das Verbot von Giftgaseinsätzen nach dem Ersten Weltkrieg. Bisher hat die Vernunft den Menschen immer zur Abrüstung gezwungen“, sagt Reisner und fährt fort: „Am Ende wollen wir alle, dass ein Mensch die Verantwortung trägt.“
Österreich bemüht sich intensiv um Beschränkungen für vollautonome Waffensysteme. Konkret will man festlegen, wo der Mensch die Kontrolle über die Waffensysteme behält – und auch, welche Bereiche auf gar keinen Fall aus der menschlichen Hand gegeben werden dürfen.
2023 brachte Österreich eine Resolution in der UNO-Generalversammlung ein, die mit großer Mehrheit angenommen wurde. Passiert ist seither wenig. Vor allem die Großmächte haben noch wenig Interesse daran, sich regulieren zu lassen.
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