80 Jahre D-Day: Das Echo des "gerechten Kampfs"

6. Juni 1944: US-Truppen in einem Landungsboot, das sich Utah Beach nähert. Es dauerte noch elf Monate bis Nazi-Deutschland kapitulierte.
Am 6. Juni 1944 landeten rund 150.000 Soldaten der Alliierten in der Normandie. Die Befreiung Europas von den Nazis begann. Zur Gedenkfeier ist erstmals nicht Russland, dafür der ukrainische Präsident geladen.

aus Courseulles-sur-Mer Simone Weiler

Der Flug führte ins düstere Ungewisse, in einen unerbittlichen Kampf und für viele direkt in den Tod. „Wir wussten, dass wir nicht mehr alle lebendig zurückkehren würden“, ist eine tiefe Stimme zu hören, als der Schwarz-Weiß-Film beginnt.

Den Besuchern des „Centre Juno Beach“ am Küstenort Courseulles-sur-Mer werden wackelige Aufnahmen von Soldaten gezeigt, die in Kanada Flugzeuge besteigen. Sie nahmen an der sehr verlustreichen, aber erfolgreichen Militäroperation teil, die dazu beitrug, das Wüten der Nazis in diesem Frühsommer 1944 endlich zu beenden.

Unter dem Schlagwort „D-Day“ ging der 6. Juni 1944 in die Geschichte ein. Noch in der Nacht landeten rund 150.000 britische, kanadische, französische und US-Soldaten unter dem Feuerschutz von 1.200 Schiffen und 7.500 Flugzeugen an den Stränden der Normandie. So begann der Feldzug der alliierten Armee in Nordfrankreich gegen die deutschen Besatzer bis zur Befreiung von Paris am 25. August 1944.

80 Jahre später prägt die blutige Schlacht der Normandie die Region immer noch. Bis heute werden die Landungsstrände nach ihren damaligen Codenamen bezeichnet: Utah Beach, Omaha Beach, Gold Beach, Juno Beach, Sword Beach. An die Kämpfe erinnern weitläufige Soldatenfriedhöfe in der eigentlich idyllisch grünen Landschaft, Mahnmale, Überreste von Bunkern und Beton-Befestigungen, die noch aus dem Meer ragen.

Besuch in einem Bunker

Das „Centre Juno Beach“ ist speziell dem Beitrag Kanadas gewidmet. Benannt nach dem kanadischen Sektor der Landungsstrände wurde es 2003 von einem D-Day-Veteranen gegründet. „Er wollte einen Ort schaffen, um seine Erinnerungen an die jüngeren Generationen weiterzugeben“, sagt Ophélie Duchemin, die dort arbeitet. Besichtigt werden kann auch ein ehemaliger Bunker der deutschen Armee. Wenige Meter vom Strand entfernt geht es mehrere Meter in die Tiefe. Die Mauern sind solide, die Gänge geräumig, doch die Atmosphäre bleibt bedrückend.

Es ist einer der Orte, die den Wahnsinn und die Absurdität des Zweiten Weltkrieges illustrieren – eines jeden Krieges. Die Toten- und Verletztenzahlen der Schlacht der Normandie sind schwindelerregend; 80 Jahre später kommen rund 200 Veteranen, überwiegend aus den USA, zu den Gedenkfeiern am nächsten Donnerstag. Erwartet werden auch US-Präsident Joe Biden, Kanadas Premierminister Justin Trudeau, Bundeskanzler Olaf Scholz, der britische Premier Rishi Sunak, Prinz William sowie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij. Dazu gebeten wurde er laut Élysée-Palast „im Namen des historischen Echos der Landung für den gerechten Kampf, den die ukrainische Nation heute führt“.

Russland sei nicht eingeladen – auch wenn man die wichtige Rolle der sowjetischen Armee im Zweiten Weltkrieg stets gewürdigt habe.

Besuch im Bunker in Courseulles-sur-Mer, wo die Alliierten landeten.

Besuch im Bunker in Courseulles-sur-Mer, wo die Alliierten landeten.

Weltgeschichte vor Augen

In einer weißen Marmorplakette am Eingang des ehemaligen Benediktinerklosters „Abbaye aux Hommes“ in Caen, seit 1965 das Rathaus der Stadt, sind die Namen derjenigen eingemeißelt, die 2004 bei den Gedenkfeierlichkeiten anwesend waren. Darunter jener des früheren US-Präsidenten George W. Bush, der verstorbenen Queen Elizabeth II und des russischen Präsidenten Wladimir Putins.

„Hier können Sie sehen, wie viel sich in nur wenigen Jahren Weltgeschichte getan hat“, sagt Anne-Marie Isabet, Stadtführerin und diplomierte Historikerin. Sie erinnere sich an die kontroversen Debatten im Jahr 2004 um die erstmalige Anwesenheit eines deutschen Kanzlers – damals Gerhard Schröder – an der Zeremonie zum D-Day, während Scholz’ Teilnahme heute völlig normal erscheine. „Das zeigt, welchen Weg wir gegangen sind und wie wichtig der Dialog und die Aussöhnung sind, damit so etwas nie wieder passieren kann.“ Schröder selbst sprach damals von einer „unglaublich historischen Geste“.

6. Juni 2019 zum 75-jährigen Gedenktag: Damals war noch Donald Trump US-Präsident, hier mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, auf dem amerikanischen Friedhof und Memorial in der Normandie in Colleville-sur-Mer, Frankreich.

6. Juni 2019 zum 75-jährigen Gedenktag: Damals war noch Donald Trump US-Präsident, hier mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, auf dem amerikanischen Friedhof und Memorial in der Normandie in Colleville-sur-Mer, Frankreich.

Caen gehört zu den Städten Nordfrankreichs, die in der Endphase des Kriegs besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Den Plänen der Alliierten zufolge hätte sie noch direkt am D-Day eingenommen werden sollen. Doch aufgrund des heftigen Widerstands der Wehrmacht zog sich der Bombenhagel mehr als einen Monat hin. Die Bevölkerung wurde zur Mittagszeit von den ersten Einschlägen überrascht. „Manche Menschen erstickten unter Gebäudetrümmern und schrieben noch Briefe, in denen sie bedauerten, die Befreiung von den Besatzern nicht mehr zu erleben“, erzählt Isabet.

Das Museum in Caen beschreibt den Wahnsinn des Zweiten Weltkrieges – eines jeden Krieges.

Das Museum in Caen beschreibt den Wahnsinn des Zweiten Weltkrieges – eines jeden Krieges.

Das Wesen des Krieges

Das große Museum „Mémorial von Caen“ am Rande der Stadt befasst sich umfassend mit dem Zweiten Weltkrieg und der Schlacht der Normandie. Auch hier gibt es eine Verbindung zum Heute durch die Ausstellung des Kriegsreporters Patrick Chauvel. Er dokumentiert seit mehr als 50 Jahren blutige Konflikte weltweit – von Vietnam über Afghanistan, Syrien, Libyen bis zur Ukraine. Das Wesen des Krieges, sagte Chauvel in einem Gespräch, bleibe gleich, verändert haben sich nur die Waffen. „In solchen Zeiten zeigen die Menschen, was sie in ihrem tiefsten Inneren sind und bringen gute Seiten hervor, die sie in Friedenszeiten nicht zeigen.“ Zugleich sei es wesentlich, wieder zum Frieden zu gelangen – das zeigt sich in diesen Tagen hier, an den normannischen Stränden, eindrucksvoll.

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