Marine Le Pen stellt ihren Vater kalt
Der Konflikt schwelte schon seit Jahren, steigerte sich in den allerletzten Wochen und kulminierte am Mittwoch. Da nabelte sich Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National (FN), definitiv und öffentlich von ihrem Vater, Jean-Marie Le Pen, dem Parteigründer und Ehrenvorsitzenden des FN, ab.
In einem Kommuniqué erklärte die 46 jährige Tochter bezüglich ihres 86 jährigen Vaters, er habe sich in eine „Spirale des politischen Selbstmords begeben“. Seine „groben Provokationen“ würden den FN „in Geiselhaft nehmen“ und seiner Bewegung „schweren Schaden“ beifügen. Sie werde sich daher auf einer bevorstehenden Sondersitzung der Parteiführung dafür einsetzen, dass Jean-Marie Le Pen, nicht, wie ursprünglich vorgesehen, als Spitzenkandidat des FN im Südosten Frankreichs bei den Regionalwahlen im kommenden Dezember antrete.
Marine Le Pen reagierte damit auf ein jüngstes Interview ihres Vaters in einer ansonsten kaum wahrgenommenen rechtsradikalen und monarchistischen Wochenschrift. Jean-Marie Le Pen hatte in diesem Gespräch erneut das Standard-Repertoire des historischen französischen Rechtsradikalismus dargeboten, von dem sich seine Tochter in den letzten Jahren mehr oder weniger klar entfernt hatte. Unter anderem huldigte er Philippe Pétain, dem Chef des französischen Kollaborationsregimes, das während der deutschen Besatzung Frankreichs im zweiten Weltkrieg, bei der Judenverfolgung beflissene Hilfe geleistet hatte. Über den in Spanien geborenen SP-Premier Manuel Valls sagte er: „Valls ist seit 30 Jahren Franzose, ich bin es seit 1000 Jahren. So schaut auch seine Treue zu Frankreich aus.“ Frankreich werde „von Migranten regiert“.
Gaskammern als "Detail"
Gleichzeitig bekräftigte Jean Marie Le Pen seinen Stehsatz zum Holocaust, wonach „die Gaskammern nur „ein Detail“ wären. Diesen erneuten Versuch, die industrielle Vernichtung der Juden durch das NS-Regime kleinzureden oder gar abzustreiten, hatte Marine Le Pen bereits vor dem jüngsten Krach verurteilt. Hingegen hatte sie andere Provokationen ihres Vaters schweigend hingenommen, etwa als er davor schwärmte, „Monsignore Ebola“ werde schon noch die Einwanderung aus Afrika „im Hand um Drehen beenden“.
Jean-Marie Le Pen hatte mit diesen Äußerungen immerzu zeitlich auf Wahlerfolge, die seiner Tochter zugeschrieben wurden, reagiert. Einige Kommentatoren sahen darin ein bloßes Phänomen patriarchalischer Neid. Andere Beobachter sprachen von einem Spiel mit verteilten Rollen: der Vater bediene die rechtsrechte Szene. Dem gegenüber könne sich die Tochter umso eher als moderatere und demokratisch geläuterte Politikerin profilieren.
Tatsächlich ist Marine Le Pen und der sie umgebende FN-Führungszirkel um eine Neupositionierung außerhalb des rechtsrechten Gründerkerns bemüht, weshalb sie auch die Zusammenarbeit in der EU mit Faschisten wie der griechischen „Goldenen Morgenröte“ ablehnte. Die Unkenrufe ihres Vaters wollte sie einfach aussitzen.
Heikler Zeitpunkt
Jetzt intensivierte Jean-Marie Le Pen aber seine Provokationen zu einem besonders heiklen Zeitpunkt: einerseits errang der FN bei den EU-Wahlen 2014 und im ersten Durchgang der landesweiten Departement-Wahlen im vergangenen März jeweils 25 Prozent, womit zumindest die Illusion eines künftig greifbaren Machtantritts genährt wurde. Andererseits konnte der FN im zweiten Durchgang der Departement-Wahlen keinen einzigen Verwaltungsbezirk gewinnen, weil jeweils eine parteiübergreifende Mehrheit gegen sie stimmte. Der FN scheitert also noch immer an einer moralischen Barriere, und die lässt sich mit den rabiaten Äußerungen von Jean-Marie Le Pen schon gar nicht überwinden.
Allerdings hat Jean-Marie Le Pen in seinem jüngsten Interview einen wunden Punkt bei den Bemühungen seiner Tochter um breitere Zustimmung getroffen: so kritisiert er die
Staats-lastigen Sozialversprechen von Marine Le Pen, darunter die Rückkehr zur Rente ab 60.
Tatsächlich dürfte sich ein Teil vor allem der konservativen Wähler inzwischen weniger am rechten Ursprung des FN als am Programm von Marine Le Pen und ihren engsten Beratern stoßen, das eine strenge Wirtschaftsregulierung und den Euro-Austritt vorsieht.
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