Männer-Hormon formt Revoluzzer

Die Arabische Revolution eine Hormonexplosion? Es sind oft junge, risikobereite Männer, die sich verbünden und Umbrüche anzetteln.
Die Mächtigen ignorieren den Faktor Mensch, sagt Karin Kneissl und analysiert in ihrem neuen Buch wie Testosteron Politik macht.

Alles begann mit der Revolution in Kairo: "Da waren diese vielen jungen, glatt rasierten Männern (die bärtigen kamen erst viel später), die in ihren engen Jeans fast erotisch posierten. So eine Gewalt, so eine Energie von jungen Männern, die ihre Sexualität nicht leben können". Karin Kneissl, renommierte Nahostexpertin, bekam die Bilder vom Tahrir-Platz nicht mehr aus dem Kopf. Und begann zu recherchieren.

"Unverheiratet zu sein, heißt, keinen Kontakt zu einer Frau zu haben, vor allem in Ägypten und Algerien. Dort ist die Frustration sehr groß", erzählt sie. Kneissl weiß das, weil sie mit vielen jungen Frauen und Männern im arabischen Raum gesprochen hat. Soziologen haben ihr schließlich bestätigt: Die sexuelle Frustration ist da und hatte Einfluss auf die Revolution. In ihrem neuen Buch Testosteron macht Politik spannt Kneissl den Bogen von der Körperchemie zu Revolutionen: "Wenn man die endokrinologische Brille aufsetzt, wird einem so manches klar". Nach vielen Gesprächen mit Historikern und Hormonspezialisten entwickelte die Politologin eine Hypothese: "Ob Occupy Wall Street, der Arabische Frühling oder die Revolution 1848 – immer standen junge Männer an vorderster Front dieser gewaltsamen Aufstände." Und sie fragt: "Neigen Männer aufgrund ihres Hormonhaushalts eher dazu, gesellschaftliche Umstürze zu initiieren?"

Männer-Hormon formt Revoluzzer

KURIER: Warum dieses Buch? Karin Kneissl: Wenn Sie mir vor einigen Jahren gesagt hätten, dass ich über ein derartiges Thema schreiben würde, hätte ich empört: „Blödsinn!“ gerufen. Aber dann ist mir aufgegangen, dass man die Menschen verstehen muss, wenn man die Welt verstehen will. Sie schreiben Testosteron macht Politik. Wie? Testosteron ist eine Form von Energie, die Männer dazu bewegt, sich zu messen: Höher, weiter, schneller, besser. Dieses Konkurrenzdenken hat wenig mit Prägung oder Erziehung zu tun. Ich versuche, gewisse politische Aktionen aus der naturwissenschaftlichen Perspektive zu beleuchten. Am 12. Februar 2011, als die Revolution vorerst vorüber war, riefen die Menschen: „Wir haben unsere Freiheit wieder! Wir können jetzt heiraten!“ Ich will nicht behaupten, dass die arabische Revolution eine Hormon-Explosion war, aber es war einer von vielen Faktoren. Frauen hatten dabei ihre Rolle, aber Männer sind einfach risikobereiter. Ein junger Mann Anfang 20 ist bereit, sich vor einen rollenden Panzer zu werfen. Diese völlige Verblendung, jetzt ist mir alles egal ... Das passiert nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Richtig. Ich habe mit Theologen die Kreuzzüge besprochen. Der Kirche war damals klar, dass sie ein Problem mit zweit- und drittgeborenen Adeligen hat, die sich die Köpfe einschlugen, weil sie nichts zu tun hatten. Und die Kirchenoberen sagten sich: Da sind diese kräftigen Jünglinge, wir nehmen diese Energie und leiten sie gen Osten um.Sie untermauern Ihre Hypothese auch mit der Revolution von 1848.Die Parallelen zu den arabischen Revolutionen sind interessant. In beiden Fällen handelt es sich um eine akademische, bürgerliche Mitte, die den Anstoß geliefert hat. Dann folgten andere Schichten. An der Literatur um 1848 kann man einiges ablesen: Denken Sie nur an Nestroys Stücke, in denen junge Männer alles daransetzten, zu einer Frau zu kommen. Egal, wie alt die ist; egal, wie sie ausschaut, Hauptsache, sie ist Frau und Hausbesitzerin. Sie wollten ihren Status verbessern. In Ägypten von heute passiert Ähnliches: Junge Männer suchen sich ältere Europäerinnen. Welche Länder sind vor diesem Hintergrund tickende Zeitbomben? Ich finde vor allem den Blick auf China und Indien spannend. Politisch brisant wird es dort, wo es Männerüberschuss und Unzufriedenheit gibt. In der arabischen Welt fehlen Frauen zwar zahlenmäßig nicht, doch Hürden – Sittenmoral, Finanzielles – verhindern die Heirat. In China haben wir durch die Ein-Kind-Politik eine Abtreibungsproblematik. Dieses Geschlechter-Ungleichgewicht – 130 heiratsfähige Männer versus 100 Frauen – führt bereits jetzt zu Frauenraub, à la Raub der Sabinerinnen. Politologen diskutieren gerade, ob ein solcher Männerüberschuss nicht zu größerer Gewalt- und Kriegsbereitschaft führt . Haben Sie keine Angst, dass Sie sich dem Vorwurf des Biologismus – menschliches Verhalten auf Körperchemie zu reduzieren – aussetzen? Der Vorwurf ist gerechtfertigt. Doch ich denke, es ist an der Zeit, den Menschen nicht mehr ausschließlich für ein vernunftbegabtes Wesen zu halten. Und zu glauben, dass Ereignisse zu rational nachvollziehbaren Entscheidungen führen. Ich komme aus dem Bereich internationale Beziehungen und weiß, wie wichtig persönliche Chemie zwischen Entscheidungsträgern ist. Ich will mit dem Buch die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass man biologische Faktoren in Geschichte und Gegenwart sowie bei politischen Umbrüchen vernachlässigt hat. Ich möchte einfach eine Debatte eröffnen. Wie die ausgeht? Keine Ahnung. Ich bin mir der möglichen Kritik bewusst und erhebe nicht den Anspruch zu sagen: So ist es. Ich glaube, dass viele die Enttäuschung, die uns Darwin bereitet hat, als er uns als Primaten entlarvte, noch nicht verdaut haben. Wir wollen die Menschen immer noch auf dieses Podest des vernunftbegabten Wesens stellen. Doch wir ticken alle durch unseren Bauch. Es menschelt! Und richtig spannend wird es, wenn die Masse sich bewegt – die Masse der jungen, risikobereiten Männer, die sich verbünden und Umbrüche auf die Beine stellen.Wagen wir einen Blick in die Zukunft! Ich glaube, es wird zu gewaltigen Umbrüchen kommen. Das, was wir gegenwärtig erleben, sind Menschenmassen, die sich auf den Weg machen. Das war in unseren Breiten das letzte Mal zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall. Es überrascht mich sehr, mit welcher Konsequenz gewisse Entscheidungsträger den Faktor Mensch bis heute außer Acht lassen. Damit sind wir wieder beim Bauch. Denn dann machen hungrige und wütende Menschen Politik.

Stichwort: Testosteron Körper Es sorgt für Spermienbildung, Bartwuchs, tiefe Stimme und Potenz: Testosteron ist das Männlichkeitshormon schlechthin. Etwa 90 Prozent des Testosterons werden in den Hoden gebildet. Bei Frauen produzieren Eierstöcke und Nebennierenrinde geringe Mengen. Das Hormon beeinflusst auch das Männer-Gehirn: Studien legen einen Zusammenhang mit Durchsetzungskraft, Führungsstärke, strukturiertem und analytischem Denken nahe; aber auch mit Aggressivität, Rücksichtslosigkeit und Ellenbogentaktik.

Verhalten Fest steht, dass Hormone das Verhalten ändern können, gleichzeitig aber auch das Verhalten Hormonwerte ändert. Das Alter ändert den Hormonspiegel ebenfalls: Bereits ab dem 30. Lebensjahr nimmt die Produktion von Testosteron jährlich um etwa ein Prozent ab.

Zur Person: Karin Kneissl Die promovierte Juristin Karin Kneissl ist Nah-Ost-Expertin und unterrichtet immer wieder an Universitäten im arabischen Raum und in Wien. Seit ihrem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst 1998 ist Kneissl in Lehre und Forschung mit den Schwerpunkten Energie, Völkerrecht und Naher Osten tätig. Für den ORF analysiert sie aktuelle Entwicklungen in dieser Region. Kneissl hat zahlreiche Bücher geschrieben darunter Die Gewaltspirale. Warum Orient und Okzident nicht miteinander kö nnen und jetzt Testosteron macht Politik (Braumüller, 20,99€).

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