Spaniens Wohnungskrise: Warum Madrider Mieter von Wiener Verhältnissen träumen

Spaniens Wohnungskrise: Warum Madrider Mieter von Wiener Verhältnissen träumen
Nur Katalonien hat einen Mietpreisdeckel eingeführt. Die Opposition will einen eigenen Gesetzesentwurf ins Parlament bringen, Experten und Mietvereine schlagen Alarm.

Mit einem Seufzen wischt Miguel Hernández die Mietanzeige von seinem Handy-Display. 1.100 Euro soll die 60-Quadratmeter-Wohnung am Rand der Madrider Innerstadt kosten, plus Nebenkosten. Das ist fast die Hälfte seines Einstiegsgehalts als Bauingenieur. „Eigentlich wollte ich demnächst mit meiner Freundin zusammenziehen und eine Familie gründen, aber das kann ich mir erstmal abschminken,“ klagt Hernández. 

Der junge Mann, Anfang 30, ist nicht der Einzige, der über die hohen Mietpreise stöhnt: Mehr als 60 Prozent ihres Einkommens geben die Spanierinnen und Spanier in Ballungszentren für die Wohnung aus. Im monatlichen Stimmungsbarometer des staatlichen Meinungsforschungsinstitut CIS belegt die Sorge um erschwinglichen Wohnraum regelmäßig einen der obersten Plätze.

Mietpreisbremse nur zum Teil eingeführt

Dabei hat die spanische Linkskoalition bereits im Frühjahr 2023 ein Wohnraumgesetz verabschiedet, das Abhilfe schaffen sollte. Es ermöglicht unter anderem, in Gegenden, in denen erschwinglicher Wohnraum knapp ist, die Mieten dauerhaft zu deckeln. Doch die Umsetzung obliegt den Regionalregierungen. Bisher hat sich nur Katalonien im Nordosten Spaniens zu dieser Maßnahme durchgerungen. Mit Erfolg: In Barcelona, wo das Geschäft mit Ferienwohnungen die Preise in die Höhe getrieben hat, sind die Mieten um 5,2 Prozent gesunken. 

Dass die Mietpreisbremse nicht auch im südspanischen Málaga eingeführt wird, wo die Durchschnittsmiete seit der Pandemie um 40 Prozent gestiegen ist, oder in der Hauptstadt Madrid, hat vor allem parteipolitische Gründe. Elf der 17 autonomen Gemeinschaften werden von der konservativen Volkspartei Partido Popular (PP) regiert, die die Politik der Madrider Linkskoalition als interventionistisch brandmarkt.

Die Oppositionspartei will im November einen eigenen Gesetzesentwurf ins Parlament bringen. Sie möchte durch Steuervergünstigungen und erleichterte Vergabeverfahren vor allem private Investoren fördern. So hofft sie auf bis zu 200.000 neue Wohnungen jährlich.

"Verfehlte Wohnungspolitik"

Mietervereine sind skeptisch und schlagen jetzt schon Alarm. Mehr Angebot führe nicht zwangsläufig zu sinkenden Preisen, sagt Carme Arcarazo vom Sindicat de Llogetueres in Barcelona. „Vor der Finanzkrise von 2008 wurden in Spanien mehr Wohnungen gebaut als in Frankreich, Deutschland und Großbritannien zusammen – und die Preise waren auf Rekordniveau!“

Auch der Politologe und Wohnraumexperte Eduardo González de Molina hält mehr Liberalisierung für den falschen Ansatz. Spanien leide bis heute unter einer verfehlten Wohnungspolitik, die Wurzeln teils noch in der Zeit der Franco-Diktatur habe. „Während Städte wie Wien schon seit über 100 Jahren öffentlichen Mietraum fördern, hat man versucht, aus Spanien ein Land der Eigentümer zu machen.“

Europäisches Schlusslicht

Selbst mit öffentlichen Geldern gebaute Sozialwohnungen bleiben nicht dauerhaft in staatlicher Hand, sondern können erworben und nach Ablauf einer Frist auf dem freien Wohnungsmarkt verkauft werden. „Wären von den in Spanien bisher gebauten 6,5 Millionen Sozialwohnungen keine verkauft worden, hätten wir einen Anteil an öffentlichem Wohnraum von 20 Prozent – ähnlich wie Dänemark oder die Niederlande“, so González de Molina. Stattdessen bildet Spanien mit nur 2,5 Prozent das europäische Schlusslicht. 

Die Madrider Regierung will dauerhaft von der öffentlichen Hand finanzierten Wohnraum fördern. Doch zuständig dafür sind die Regionalregierungen. Bisher haben nur fünf autonome Gemeinschaften entsprechende Vorschriften erlassen. 

Kommentare