Linker Melenchon in der Stichwahl?

Jean-Luc Melenchon.
Bei Frankreichs Präsidentenwahl scheint ein Abschlussduell zwischen dem Linkstribun und der Nationalistin Le Pen möglich.

Bis zuletzt werden im Ringen um den Elysée-Palast die Karten neu gemischt. Nur eine Woche vor dem ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahlen (am kommenden Sonntag, den 23.April) zeichnet sich eine Entwicklung ab, die noch vor einer Woche kaum jemand für möglich gehalten hätte: der 65 jährige Linkstribun Jean-Luc Melenchon könnte sich für die Stichwahl (7.Mai) qualifizieren.

Aller Voraussicht nach würde dann das Abschlussduell um Frankreichs Staatsführung entweder zwischen dem Linksaußen-Kandidaten Melenchon und der Nationalistin Marine Le Pen stattfinden, oder zwischen Melenchon und dem konservativen Kandidaten Francois Fillon. Dieser befindet sich – trotz des Skandals um die parlamentarische Scheinbeschäftigung seiner Frau und Kinder – laut Umfragen in einer Aufholphase. Wohingegen der bisherige Präsidentschafts-Favorit, der liberal-soziale Quereinsteiger Emmanuel Macron, in einer Abstiegstendenz gefangen scheint, von der man allerdings noch nicht sagen kann, wie tief sie bis zum Wahltag sacken könnte.

Zerbröselung der Favoriten

Linker Melenchon in der Stichwahl?
Campaign posters of the 11 candidates who run in the 2017 French presidential election are seen in Le Soler, near Perpignan, France April 15, 2017. (L-R) Debout La France group candidate Nicolas Dupont-Aignan, French National Front (FN) political party leader Marine Le Pen, head of the political movement En Marche! (Onwards!) Emmanuel Macron, French Socialist party candidate Benoit Hamon, France's extreme-left Lutte Ouvriere political party (LO) leader Nathalie Arthaud, Anti-Capitalist Party (NPA) presidential candidate Philippe Poutou, "Solidarite et Progres" (Solidarity and Progress) party candidate Jacques Cheminade, lawmaker and independent candidate Jean Lassalle, candidate of the French far-left Parti de Gauche Jean-Luc Melenchon, UPR candidate Francois Asselineau and the Republicans political party candidate Francois Fillon. REUTERS/Jean-Paul Pelissier
Der wichtigste Anhaltspunkt ist die jüngste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos-Sopra Steria, die das angesehene Parsier BlattLe Mondesoeben veröffentlicht hat: demnach halten sowohl der liberale Macron als auch die Nationalistin Le Pen bei 22 Prozent. Das wäre für die beiden bisherigen Umfragefavoriten des ersten Wahlgangs ein Verlust von jeweils zwei Prozent innerhalb einer Woche. Mitte März beliefen sich die Umfrage-Werte der beiden noch auf 26 beziehungsweise 27 Prozent. Ihre Zerbröselung ist also deutlich.

Hingegen ist der Linkstribun Melenchon jetzt auf 20 Prozent hoch geklettert. Innerhalb einer Woche hat er 1,5 Prozent dazu gewonnen. Wie eklatant sich diese Aufholjagd von Melenchon vollzog, wird im Vergleich zu seinen bescheidenen 11,5 Prozent Mitte März ersichtlich.

Der springende Punkt für die Annahme, dass Melenchon am Wahltag den Liberalen Macron und möglicherweise auch Le Pen übertrumpfen könnte, ist der Umstand, dass er als einziger Bewerber aus einem noch ziemlich sicheren Reservoir schöpfen kann: dabei handelt es sich um die Noch-Wähler des Kandidaten der Sozialistischen Partei, Benoit Hamon, der laut Umfrage auf 7,5 Prozent (von 12,5 Prozent Mitte März) abgerutscht ist.

Hamon ist kein klassischer, pragmatischer Sozialdemokrat, sondern der Vertreter des linken Parteiflügels der Sozialisten, der sich gegen den sozialliberalen Kurs des SP-Staatschefs Francois Hollande frontal aufgelehnt hat. Er besiegte bei Vorwahlen der SP im Jänner den rechtssozialdemokratischen und Hollande-treuen Ex-Premier Manuel Valls. Seither haben sich der pragmatisch-moderate SP-Flügel und vor allem die SP-Regierungspolitiker zum Großteil (und inoffiziell auch Präsident Hollande) auf die Seite des Zentrumskandidaten Macron geschlagen.

Raus aus Nato und wahrscheinlich auch EU

Das bedeutet, dass die meisten der 7,5 Prozent, die sich noch zu Hamon bekennen, sein prononciert links-alternatives und ökologisches Programm befürworten, das in gewisser Hinsicht dem von Melenchon ähnelt. Melenchon geht zwar bei der von ihm beabsichtigten Einschränkung des marktwirtschaftlichen Systems weiter als Hamon. Auch will Melenchon Frankreich aus der Nato führen und ist bereit, die EU zu verlassen, sollte sie seinen Wünschen nicht entsprechen (Komplette Abkehr von Sparzielen und Defizit-Abbau). Das mag einige verbliebene SP-Wähler abschrecken, aber ein beträchtlicher Teil wird jetzt, da Melenchon ernsthafte Siegeschancen hat, nicht zögern zu ihm überzuwechseln.

Auch prominente Unterstützer des Linkssozialisten Hamon, wie der Wirtschaftsforscher Thomas Piketty (der mit seinem Bestseller „Das Kapital im 21.Jahrhundert“ über die wachsende Ungleichheit weltweit Aufsehen erregte) haben ihre Annäherung an Melenchon signalisiert.

Der vermutlich weitergehende Zulauf für Melenchon, also die Dynamik seiner Kandidatur ist auch daraus ersichtlich, dass er laut Meinungsforschern, bei den 18 bis 24 jährigen Wählern innerhalb eines Monats von 12 auf 44 Prozent hoch geschnellt ist. Bei den 25 bis 34 Jährigen wuchs sein Anteil von 14 auf 27 Prozent. Sogar 22 Prozent der leitenden Angestellten wollen für ihn stimmen, obwohl Unternehmervertreter und Präsident Hollande in seltener Eintracht vor den, ihrer Meinung nach, verheerenden wirtschaftlichen Folgen des Ausgaben- und Steuerprogramms des Linkstribuns eindringlich gewarnt haben.

Jungwähler immer weiter links

Damit könnte sich eine Analyse des Soziologen Vincent Tiberj bewahrheiten, der seit langem bezüglich Frankreich betont: unter den Jungwählern, die sich sicher an Wahlen beteiligen, verfügt zwar der rechte „Front National“ von Le Pen über eine relative Mehrheit. Wenn man aber die Jugend als Gesamtes untersucht (inklusive der Teile, die sich nicht sicher sind, ob sie zur Wahl gehen und für wen sie stimmen würden), ergibt sich ein anderes Bild: demnach stünde „jede nachrückende Generation weiter links“. Dem wortgewaltigen und witzig auftretenden Melenchon scheint es einstweilen gelungen zu sein, diese Mehrheit teilweise in seinen Bann zu ziehen.

Dieser Erfolg von Melenchon steht in krassem Gegensatz zum Zentrumskandidaten Emmanuel Macron, der trotz seines jungen Alters (39 Jahre) gerade bei Wählern zwischen 18 und 24 Jahren innerhalb eines Monats von 28 auf 15 Prozent abgestürzt ist. Auch sonst hat Macron in allen Alters- und Berufsgruppen Einbußen erlitten – mit Ausnahme der leitenden Angestellten.

Macron steht für einen pragmatischen, parteiübergreifenden Zentrumskurs. Aber möglicherweise erscheint er als ehemaliger Banker und zuletzt Wirtschaftsminister unter Francois Holland zu etabliert, zu diffus in seinen Aussagen und gleichzeitig zu wirtschaftsliberal. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung scheint nach 30 Jahren Massenarbeitslosigkeit (im Schnitt doppelt so hoch als in Österreich) und einer endlosen Serie von Politiker-Skandalen zu radikalen Angeboten zu tendieren.

Zweifel bei Macron

Macron läuft daher Gefahr noch vor dem ersten Wahlgang zerrieben zu werden, und zwar von links her durch Melenchon, und von bürgerlicher Seite her durch den deklarierten Sparmeister und betont wertkonservativen Fillon (dieser ist laut Umfrage von 17 Prozent Mitte März auf zuletzt 19 Prozent hoch geklettert).

"Le Monde" zitiert engste Mitarbeiter des liberalen Kandidaten Macron, die neuerdings ihre Zuversicht verloren haben: „Wir sind innerhalb weniger Tage vom Gefühl, wir werden siegen, in das Gefühl, wir können verlieren, geschlittert“. Ein anderer Gefährte von Macron meint: „Die Zustimmung zu Macron ist ein Akt der Vernunft, aber nicht der Begeisterung. Unsere Wählerbasis ist nicht klar definiert, und daher durch den Rückgang in den Umfragen am stärksten beeinflussbar.“ Je mehr Zeit vergehe, desto deutlicher würde der Abwärtstrend greifen, fürchten die Berater von Macron, und einer resümiert die Stimmung: „Die Wahlkampagne dauert für uns um eine Woche zu lange“.

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