Staatschef Zeidan nach Entführung wieder frei

Der von einer Miliz entführte Premier Zeidan wurde schnell befreit. Dem Staat fehlt jede Macht.

Die Sonne ging gerade auf vor dem Corinthia Hotel in Tripolis, als eine Gruppe bewaffneter Männer in das Gebäude kam – vorbei an Metalldetektor und Sicherheitspersonal, mit einem gefälschten Haftbefehl vom Staatsanwalt. Sie kamen, um den Premierminister zu holen.

Das Corinthia Hotel ist beliebt bei Diplomaten und Regierungsvertretern, es gilt als sicherer Ort in der libyschen Hauptstadt. Auch Premier Ali Zeidan war vor einer Weile hierher gezogen – aus Sicherheitsgründen. Doch das war offenbar umsonst.

Die Entführer, Mitglieder einer Rebellenbrigade, die mittlerweile eigentlich dem Innenministerium untergeordnet ist, holten Zeidan aus seinem Stockwerk. Sie brachten ihn in ihre Zentrale und hielten ihn dort ein paar Stunden fest. Dann kam eine andere Brigade und befreite den Premier. So funktioniert der Sicherheitsapparat in Libyen.

Libyen, ein „Failed State“?

Libyen ist kein Failed State“, sagte Zeidan erst vor Kurzem in einem CNN-Interview. „Der Staat Libyen existiert noch überhaupt nicht.“ Seit der Tötung Muammar Gaddafis im Oktober 2011, nach einem monatelangen Bürgerkrieg, versuchte sich Libyen als Staat neu zu erfinden. Nach 42-jähriger Gaddafi-Herrschaft gab es zwar Öl und somit Geld. Staatliche Institutionen, auf die man aufbauen könnte, fehlten aber ebenso wie eine gemeinsame nationale Identität. Starke regionale Interessen werden von Dutzenden Milizen, die im Bürgerkrieg gegen Gaddafis Armee gekämpft haben, verkörpert. Nach dem Krieg sind Tausende Waffen im Umlauf. Und die benutzen die Milizen dafür, die eigenen Interessen durchzusetzen. So auch am Donnerstag.

Die Entführung könnte ein Racheakt gewesen sein, weil Premier Zeidan angeblich sein o. k. gegeben haben soll, dass die USA den mutmaßlichen El-Kaida-Terroristen Abu Anas al-Libi auf libyschen Boden entführt hat. Wahrscheinlich ist die Aktion von Donnerstag aber eher eine Erpressung oder schlicht eine Machtdemonstration einer Miliz.

Libyen wurde zum „Selbstbedienungs-Staat“, sagt der österreichische Nordafrikaanalytiker Wolfgang Pusztai. „Jeder nimmt sich, was er braucht.“ Die Regierung hat schon wenige Monate nach Gaddafis Sturz versucht, die ehemaligen Rebellenkämpfer in den Sicherheitsapparat einzugliedern. Doch nur wenige junge Männer meldeten sich bei Polizei und Armee. Die Mitgliedschaft in einer der vielen Milizen ist offenbar aussichtsreicher und sicherer als ein Job bei der Regierung. Also gliederte die Regierung gleich die Milizen als Ganzes ein. Das beschränkt sich aber de facto auf die Bezahlung: Von der Regierung geht das Geld an die Milizenführer. Die geben ihren Männern die Befehle – die haben mit den Wünschen der Regierung oft wenig zu tun.

„Es muss noch viel getan werden“

Der befreite Premier, dem Korruption und mangelndes Durchsetzungsvermögen nachgesagt werden, versucht zu deeskalieren. Schuldzuweisungen wollte er am Donnerstag keine machen. „Ich hoffe, dass diese Angelegenheit jetzt mit Weisheit und Rationalität behandelt wird“, sagte er. Und er weiß: „In Libyen muss noch sehr viel getan werden.“

Der libysche Ministerpräsident Ali Zeidan (62) hat eine bewegte Karriere hinter sich. In den ersten Jahren der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi war er Diplomat. 1980 sagte er sich von Gaddafi los und gründete zusammen mit anderen Ex-Funktionären die Nationale Front für die Rettung Libyens. Es folgten lange Jahre im Exil, die ihn unter anderem nach München und Genf führten.

Während des Aufstandes gegen Gaddafi 2011 kehrte Zeidan nach Libyen zurück. Bei der ersten Parlamentswahl 2012 errang er in seiner Heimatstadt Jufra ein Mandat. Im Oktober 2012 wählte ihn das Parlament zum Ministerpräsidenten.

Der eher liberal ausgerichtete Zeidan war damals nur zweite Wahl. Zuvor war der gemäßigte Islamist Mustafa Abu Shagour damit gescheitert, eine Regierung zu bilden. Als Regierungschef machte sich Zeidan viele Feinde. Einige der Rebellen, die im Bürgerkrieg 2011 gegen Gaddafis Truppen gekämpft hatten, wollten nicht akzeptieren, dass nicht mehr sie, sondern gewählte Volksvertreter das Sagen haben sollten.

In dem knappen Jahr seit Amtsantritt ist Zeidan völlig in seiner Arbeit aufgegangen. Seine Familie bekam ihn kaum noch zu sehen. Mit seinen korrekten Anzügen, der unmodischen Brille und dem strengen Blick verkörpert er das Gegenteil von Oberst Gaddafi, der mit seinem pompösen Auftreten stets für Aufsehen gesorgt hatte.

Der Regierungschef ist gläubiger Muslim. Konfrontationen geht er gern aus dem Weg. Probleme mit Islamisten oder Ex-Rebellen sucht Zeidan meist im Dialog zu lösen.

Kommentare