„Die machen doch, was sie wollen“

Die Ex-Rebellen sind besser bewaffnet als das Militär. Deshalb versucht die Armee, sie einzugliedern.

Mai 2011. Saadoun AlSwehli und seine Männer nähern sich der Stadt Misrata, die es – umstellt von Gaddafis Truppen – zu befreien gilt. Sie haben sich zu einer Miliz zusammengeschlossen, wie es Hunderte andere gemacht haben. Der junge AlSwehli ist nervös, aber er will stark wirken. Er teilt seine Männer ein. Sein Freund Ahmed steht auf einem Pick-up, auf dem ein 14,5-Millimeter-Zwillingsgewehr befestigt ist. Ein Provisorium, wie es hier Tausende gibt. Ahmed schießt auf Regierungstruppen. Die schießen zurück. Ein Treffer. Ahmed wird vom Auto geschleudert. Rückzug.

Ein Helfer klappt den Laptop zu. AlSwehli wollte, dass auch die Journalistin aus Österreich das Video sieht, auf dem zu sehen ist, wie er vor fast zwei Jahren für die Freiheit seines Landes gekämpft hat und warum er jetzt da ist, wo er ist. An der Spitze einer Armee-Einheit.

„Keine Miliz“

„Die machen doch, was sie wollen“
Saadoun Salem AlSwehli, commander of the Misurata brigades, Libya, "Al-Raya's new Security and Safety Services"
Das Zimmer im ehemaligen Lager von Gaddafis Frauenarmee in Tripolis ist groß und lang. Am hinteren Ende hängt ein riesiges Satellitenbild von Libyen. Provisorisch auf Din-A3-Blätter gedruckt. Davor ein Tisch mit der libyschen Flagge, Laptops, Handys, Telefon, Fernbedienung, Handgranate und was man sonst als Milizenchef braucht.

Doch Saadoun AlSwehli sieht sich nicht als Chef einer Miliz. „Die Brigade gibt es nicht mehr. Wir sind jetzt Teil der Regierung“, sagt er. Und damit seien sie zuständig dafür, das Libyen sicher wird – „ein besseres Libyen“.

Im September erklärte die Regierung alle bewaffneten Gruppierungen, die sich nicht der Gewalt des Staates beugen, für illegal. Kooperative Rebellen bekamen Jobs als Soldaten. Viele blieben in ihrem gewohnten Umfeld, denn manche Milizen wurden zur Gänze in ihrer bestehenden Struktur übernommen.

Während die Armee Grenzen sichert um den Waffenschmuggel und El-Kaida-Zulauf aus dem Ausland zu unterbinden, kontrollieren die (ehemaligen) Milizen weite Teile des Landes – und werden dafür bezahlt. Das funktioniert einigermaßen. Bis es zu Interessenskonflikten kommt. Immer wieder gibt es Schießereien zwischen einzelnen Gruppen.

Westliche Regierungen wollten helfen, die libysche Armee zu modernisieren. Mit dem Ziel, Russland als Haupt-Waffenlieferanten abzulösen und die Macht der Milizen einzudämmen. Doch die Reformen stockten. Außer kleinere Lieferungen und Trainings für Soldaten im Ausland passierte nicht viel.

„Geld und dicke Autos“

Für das Foto posiert AlSwehli mit der Pistole in der Hand. Er schmunzelt. Er will das Land sicherer machen, sagt er – doch viele meinen, dass genau Leute wie er für Unsicherheit im Land verantwortlich sind. „Die ehemaligen Milizen arbeiten nicht für die Regierung. Sie nehmen sich nur das Geld und machen, was sie wollen“, glaubt ein libyscher Student, der selbst im Bürgerkrieg an der Front gekämpft hat. „Meine Kameraden von damals sitzen jetzt in hohen Positionen, fahren dicke Autos. Sie sind von dem Virus der Macht und des Geldes infiziert.“

Geld gibt es in dem Ölland genügend. Die Bevölkerung wird mit regelmäßigen Bonuszahlungen und Lohnerhöhungen bei Laune gehalten, die Milizengruppen wurden vom Verteidigungsministerium „gekauft“.

Kalaschnikow zu Hause

Doch die Lage in Libyen bleibt fragil. Auch wenn es die meisten Libyer nicht zugeben wollen – sicher ist es in ihrem Land noch lange nicht. Vor allem im Osten, rund um Bengasi, wünscht man sich mehr Unabhängigkeit vom „Wasserkopf“ Tripolis, auch Abspaltungstendenzen werden immer wieder laut. Aber auch in der Hauptstadt ist man besser beraten, in der Nacht das Haus nicht zu verlassen. Bewaffnete Männer patrouillieren, wer sich nicht auskennt, weiß nicht, ob es sich um Militär, Polizei oder Privatpersonen handelt. „Keiner hält sie mehr auseinander“, ärgert sich ein Libyer.

Im aktuellen Sicherheitsvakuum hat zudem die Drogenkriminalität zugenommen, Ausländer sind oft Opfer von Überfällen oder Diebstählen, manchmal sogar kurzer Entführungen. Firmen bezahlen privates Sicherheitspersonal zum Schutz ihrer Mitarbeiter.

Das große Problem sind die Waffen im Land. Keiner will jetzt der Verlierer der Revolution sein. Es ist den verschiedenen Übergangsregierungen seit 2011 nicht gelungen, die Rebellenkämpfer zu entwaffnen. „Meine Kalaschnikow gebe ich erst her, wenn das Land stabil ist“, sagt der Student. Viele denken wie er.

Das Waffenproblem

Am 15. Februar 2011 gingen in der ostlibyschen Stadt Bengasi die ersten Menschen auf die Straße, um nach 42 Jahren gegen Langzeitherrscher Muammar al Gaddafi zu demonstrieren. Die Proteste mutierten zu einem Bürgerkrieg, in dem sich Hunderte Milizen bildeten. Sie wurden mit Waffen – vor allem aus Katar, aber auch aus Europa (Frankreich) – unterstützt und plünderten Gaddafis Waffenlager. Bis heute haben die meisten eine Waffe zu Hause. Viele der ehemaligen Rebellenkämpfer sind heute bei der Armee, gehorchen aber nur bedingt den Befehlen.

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