Libyen: Migranten geraten zwischen die Fronten des Bürgerkrieges

Oft konnten nur noch Tote geborgen werden
Dutzende Opfer bei Luftangriff bei Tripolis. Politisches Chaos macht Suche nach Verantwortlichen schwer

Das Chaos in Libyen ist um ein tragisches Ereignis reicher. Bei einem mutmaßlichen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis sind nach Angaben von Rettungskräften 44 Menschen getötet worden. Mehr als 130 weitere Flüchtlinge seien in dem betroffenen Migrantenlager in Tajoura verletzt worden, sagte ein Sprecher der Rettungskräfte Mittwochfrüh.

Wer hinter dem Angriff steckt, ist noch offen. Waren es regierungstreue Milizen? Libyen-Experte Wolfgang Pusztai stellt auf KURIER-Anfrage Mittwochfrüh fest, dass die Truppen von General Khalifa Haftar in der vergangenen Nacht mehrere Ziele in Tripolis bombardiert hätten, insbesondere Munitionsdepots, Milizenlager und Hauptquartiere von Milizen. „Dazu werden normalerweise lasergelenkte Bomben und Raketen verwendet, die sehr zielgenau sind“, erklärt Pusztai. Milizen, die die international anerkannten Regierung, der „Einheitsregierung“ an der Macht halten, liefern sich mit Einheiten Haftars erbitterte Kämpfe um die Kontrolle der Hauptstadt Tripolis. Nach UN-Angaben wurden bei den Kämpfen bisher etwa 650 Menschen getötet. Es sei bekannt, dass Milizen auf Seiten der Regierung oft bewusst Waffen in der unmittelbaren Nähe von zivilen Zielen lagern, sagt Pusztai: „Angeblich werden Waffen auch in Flüchtlingscamps gelagert. Das würde gut ins Lagebild passen.“

UNHCR „extrem besorgt“

Das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR äußerte sich jedenfalls „extrem besorgt“ angesichts der Berichte über den Angriff auf das Flüchtlingslager. „Zivilisten sollten nie als Ziele genommen werden“, twitterte das UNHCR Libyen.

Libyen: Migranten geraten zwischen die Fronten des Bürgerkrieges

In den Lagern herrschen unfassbare Zustände

Pusztai ist skeptisch ob der Vermutungen, dass Haftar hinter den Angriffen steckt: „Im April und Mai gab es zumindest zwei Vorfälle, bei denen seine Truppen angeblich zivile Ziele in Tripolis angegriffen hatten, diese aber gar nicht innerhalb der Reichweite von deren Artillerie waren. Wenn man fragt, wem nützt das, dann ist die Antwort, sicher nicht Haftar.“

Für Pusztai gibt es noch zwei weitere Optionen: „Entweder haben die Milizen ein sehr nahes militärisches Ziel verfehlt, oder die Luftwaffe aus der Stadt Misrata steckt hinter dem Angriff.“ Diese ist unter Kontrolle eines Bündnis von Milizen, die die Einheitsregierung in Tripolis gegen Haftars Truppen verteidigen. Dazu gehören allerdings immer mehr radikalislamische Kämpfer aus Syrien – etwa von Dschihadisten der Terrororganisation El Kaida.

Seit dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar Gaddafi im Jahr 2011 herrschen erbitterte Spannungen im Land – mittendrin Zehntausende Migranten.

Kommentare