"Leute haben geschrien, es war Chaos"

Tiefe Trauer am Tag nach dem Massenmord von Nizza
Erschütternde Berichte. Viele hatten einfach Glück. Sie realisierten erst viel später, was überhaupt passiert war.

"Ich war auf der Straße, der Wagen ist gerade vor mir stehen geblieben, nachdem er gerade ein paar Leute überfahren hat. Ein Mädchen lag unter dem Wagen, ein Mann neben mir hat versucht, sie herauszuziehen. Der Fahrer schien nervös zu sein", schildert Augenzeuge Nader dem französischen Sender BMFtv. "Dann zog er eine Pistole und hat auf die Polizisten gezielt. Das war der Moment, wo sie ihn erschossen haben."

Der französische Journalist Damien Allmand verfolgte in einem Restaurant nahe der Promenade des Anglais das ausklingende Feuerwerk, als er Lärm hörte. In seinem Blog beschreibt er, wie er die Nacht erlebte. "Ich dachte zunächst, irgendein Witzbold hat sein eigenes kleines Feuerwerk angezündet und die Kontrolle darüber verloren ... Aber nein. Nur den Bruchteil einer Sekunde später ist ein riesiger weißer Lastwagen in wahnsinniger Geschwindigkeit vorbeigerast. Dabei hat er immer wieder gelenkt, um möglichst viele Menschen niederzumähen. Dieser Lastwagen des Todes ist nur wenige Meter an mir vorbeigefahren, und ich habe ihn noch nicht einmal realisiert. Die Menschen in seinem Weg sind wie Bowling-Kegel weggeflogen. Ich hörte Geräusche, Schreie, die ich nie mehr vergessen werde. Ich war starr vor Angst."

Ein weißer Lastwagen sei vorbeigefahren, während er auf dem Balkon seines Hotels stand, schildert der deutsche Journalist und Blogger Richard Gutjahr, und dann habe das Fahrzeug Gas gegeben. "Die ganze Straße war eigentlich abgesperrt. Dann ist das Fahrzeug in die Menschenmenge gerast." Schließlich sei der Lastwagen in den Mittelstreifen der Straße gekracht, daraufhin sei es zu einem Schusswechsel gekommen. "Nur wenige haben den Lkw überhaupt mitbekommen", sagte er.

Er konnte ausweichen

Ein weiterer Augenzeuge war der Korrespondent der französischen Nachrichtenagentur AFP. "Ich war ungefähr hundert Meter entfernt und hatte nur wenige Sekunden, um auszuweichen", berichtete Robert Holloway. Der Reporter sah, wie ein weißer Lastwagen ungebremst mit großer Geschwindigkeit in die Menschenmenge raste. "Wir sahen, wie Leute getroffen wurden und wie Gegenstände umherflogen", sagte er. Die Menschen ergriffen in Panik die Flucht, erinnerte sich Holloway.

"Die Leute haben geschrien, es war das absolute Chaos." Der Hergang des Vorfalls ließ Holloway schlussfolgern, dass der Fahrer mit Absicht gehandelt haben muss: "Wenn ein derart großer Lkw auf die Promenade fährt und sich dann auf ziemlich gerader Strecke seinen Weg bahnt, dann kommt mir das wie eine sehr absichtliche Tat vor."

Die Wachebeamtin Marie schildert dem Figaro: "Ich sah, wie sich Hunderte Menschen in Panik und kopfüber auf die Straßenseiten retteten, viele Kinder darunter. Was mich am meisten schockiert hat, waren die anderen Leute, die mit ihren Handy gefilmt haben. Die haben weitergefilmt, als die Verletzten auf der Straßen lagen."

"Es gab eine riesige Verwirrung", schildert eine Touristin dem TV Sender ABC, "ich kann mich nicht erinnern, einen Lastwagen gesehen zu haben. Aber wir haben die Schreie gehört und die Menschen gesehen, die uns in Panik entgegengelaufen sind. Alle haben versucht, sich irgendwo hineinzuretten, in Restaurants, in Parkhäuser, in Garagen, einfach irgendwohin, wo sie weit weg von der Straße sind."

"Ich sah den Lkw die Promenade entlangrasen", berichtet eine Bild-Reporterin. "Am französischen Nationalfeiertag wollten mein Freund und ich uns ein Abendessen im Hotel Negresco, dem besten Haus am Platz, gönnen. Wir hatten gerade unser Dessert aufgegessen, da hörte ich Schreie. Mein Freund wunderte sich über die hohe Geschwindigkeit des Trucks, weil die Straße doch wegen der Parade eigentlich abgesperrt war. Wir sind sofort ans hintere Ende der Terrasse geflüchtet und haben uns hinter große Blumenkübel geduckt. Ich hatte Panik."

Warten auf Rettung

Nach einem Anschlag geht das Zeitgefühl verloren. Viele Verletzte sagen, dass sie "unendlich lange" oder "zehn Minuten" auf Hilfe gewartet hätten. Manche sind eine Stunde lang durch die Stadt geirrt, bis sie realisierten, was passiert ist.

Seit den Anschlägen von Paris gibt es "Plan Blanc": Alle Ärzte und Krankenschwestern werden nach einem Attentat alarmiert und in die Spitäler gerufen. Noch in der Nacht auf Freitag wurden 70 Forensiker in Marsch gesetzt, sie sollten alle Tatort-Spuren sichern, auch damit die Toten möglichst schnell begraben werden können.

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