In Mbappés Heimatort: "Er versteht, wie es ist, in Frankreich schwarz zu sein"
In Bondy, dem Heimatort von Frankreichs Star-Fußballer, ehrt eine riesige Freske den großen Sohn der Stadt. Was denken die Einwohner über den Wahlaufruf des Kapitäns der französischen Nationalelf? Ein Besuch in der Banlieue im Nordosten von Paris.
„Drücken wir ihm die Daumen, dass die Nase künftig heil bleibt.“ Boubacar sitzt am Rande des Parkplatzes von „Harry’s Café“ in Bondy und sucht das Gespräch mit all jenen, die hierher kommen, um einen Blick auf die riesige Freske auf dem großen Wohnhaus gegenüber zu werfen. Sie zeigt Kylian Mbappé, den berühmtesten Sohn der Stadt. Vor einer Woche hat sich der Star-Fußballer und Kapitän der französischen Mannschaft beim ersten EM-Spiel gegen Österreich die Nase gebrochen. Künftig will der 25-Jährige wieder auf dem Platz stehen. „Das wäre wichtig, er ist der Beste“, sagt Boubacar. Er war schon Fan und sei es umso mehr, seit Mbappé sich bei einer Pressekonferenz zu den Parlamentswahlen am 30. Juni und 7. Juli geäußert hat.
Anders als andere Teamkollegen wie Antoine Griezmann begnügte er sich nicht nur damit, zur Wahl aufzurufen. Er ging weiter, indem er sagte, er sei „gegen die Extreme, gegen die Ideen, die spalten“. Das hat eine Debatte in Frankreich ausgelöst. Darf, soll, muss ein Fußballer sich zu politischen Vorgängen äußern?
Das Gemälde auf der Hauswand zeigt im unteren Teil Mbappé als Jungen mit geschlossenen Augen, der einen Fußball umarmt. Darüber erscheint er als breitschultriger Erwachsener von hinten im Trikot der französischen Nationalelf. Darauf prangen sein Nachname und seine Nummer, die 10. „Liebe deinen Traum, und er wird dich zurück lieben“, steht auf Französisch zwischen beiden Abbildungen.
Der Sohn einer Algerierin und eines Kameruners hat einen Traum realisiert, den Millionen Kinder träumen. Vom Einwandererkind aus der Banlieue stieg er auf zu einem der besten Fußballer der Welt. Aufgewachsen ist er in Bondy im Département Seine-Saint-Denis, dem ärmsten des Landes. Begann er beim örtlichen Verein AS Bondy zu kicken, trainiert von seinem Vater, kam das Fußball-Talent noch als Kind ins Nachwuchsleistungszentrum INF Clairefontaine im schicken Pariser Westen und startete 2015 startete seine Karriere in der Jugendabteilung der AS Monaco. 2017 unterschrieb Mbappé beim Hauptstadt-Club Paris Saint-Germain (PSG). Nun wechselt er zu Real Madrid und macht noch einen Traum wahr.
In Bondy gilt er als Idol, sagt Boubacar. „Ständig kommen hier junge Leute her, um die Freske zu fotografieren.“ Deshalb glaube er, dass die politischen Appelle gehört werden, sagt der 38-Jährige. „Ich gehe sowieso wählen, aber gerade die Jüngeren kann das motivieren.“
Das war wohl Mbappés Absicht, der sagte, er gehöre einer Generation an, „die den Unterschied machen kann“. Die Extremen befänden sich an der Pforte zur Macht, doch er wolle auch weiterhin stolz sein, das französische Trikot zu tragen. „Ich möchte nicht ein Land repräsentieren, das nicht zu meinen Werten passt“.
Den rechtsextremen Rassemblement National (RN) nannte er nicht beim Namen, aber er schloss sich explizit seinem Teamkollegen Marcus Thuram an. Der Sohn des ehemaligen Fußballprofis Lilian Thuram, der sich seit langem im Kampf gegen Rassismus engagiert, hatte zuvor erklärt, es gelte, „im Alltag dafür zu kämpfen, dass der RN nicht durchkommt“.
In Umfragen liegt die rechtsextreme Partei mit mehr als 30 Prozent vorne. Sollte er eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreichen, würde der 28-jährige Parteichef Jordan Bardella Premierminister. Zu Thurams und Mbappés Aussagen befragt, sagte Bardella, er habe viel Respekt und Bewunderung für beide, aber es gelte, die Entscheidung der Franzosen zu respektieren. „Bei Multimillionären, die in Privatjets herumfliegen, finde ich es etwas störend, wenn diese Sportler Leuten Lektionen geben, die 1400 Euro pro Monat verdienen.“ Andere Vertreter der Partei erklärten, sie fühlten sich gar nicht angesprochen. Sie seien schließlich nicht extrem.
Der französische Fußballverband FFF stellte in einem Kommuniqué klar, dass den Spielern zwar Meinungsfreiheit garantiert werde und der Appell zum Urnengang notwendig sei. Aber beim FFF handle es sich um eine neutrale Institution, die keine Wahlempfehlungen abgebe. „Ich bin Verbandspräsident, nicht Chef einer Partei“, betonte FFF-Präsident Philippe Diallo. Demgegenüber äußerten sich Vertreter der Regierungsmehrheit lobend bis begeistert. Auch einige Influencer und Künstler haben sich gegen rechts ausgesprochen. Wie groß die Wirkung sein wird, weiß heute keiner.
Für sie sei Mbappé ein echtes Vorbild, sagen vier junge Männer, die sich als Mohammed, Mhd, Loris und Jmk vorstellen. „Er ist ein super Typ und er versteht, wie es ist, in Frankreich schwarz zu sein.“ Die 18-jährigen Schüler verbringen ihre Mittagspause vor dem Sportstadion Léo-Lagrange in Bondy. Es gehört zu den wenigen Grünflächen in der Stadt, die von Beton, stark befahrenen Alleen, Schnellimbissen und Sozialsiedlungen geprägt ist. „Ich bin froh, dass ich zum ersten Mal wählen darf, wir müssen den RN verhindern“, sagt Loris.
In ihrem Wahlkreis hat die Kandidatin der Linkspartei LFI (La France Insoumise, „Das unbeugsame Frankreich“) beste Chancen. Bei den letzten Parlamentswahlen 2022 erhielt sie bereits im ersten Wahlgang fast 50 Prozent, die Rechtsextremen lagen damals bei 10,4 Prozent. Doch bei den EU-Wahlen vor drei Wochen waren es schon knapp 17 Prozent.
Eine "Chance" für die Rechtsextremen
Anissa gibt nicht eindeutig zu, dass sie zu deren Wählern gehörte. Aber im Gespräch wird das klar. „Vielen hier reicht es einfach“, sagt sie, während sie einen Kinderwagen über den Platz vor dem Rathaus schiebt. „Wir haben alles ausprobiert, die Linken, die Rechten. Warum sollten nicht die Rechtsextremen ihre Chance bekommen?“ Sie lasse ihre Töchter nicht alleine raus, fühle sich hier nicht sicher. Der RN könne am ehesten etwas daran ändern, glaubt sie.
Mbappé sei ein sympathischer Typ, sagt die junge Frau, aber er lebe schon lange nicht mehr in Bondy. Er solle sich mit politischen Kommentaren zurückhalten und sich lieber auf den Fußball konzentrieren. Am besten mit ein paar Toren.
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