Wie Russlands Besatzer in Österreich auftraten

Wie Russlands Besatzer in Österreich auftraten
Die Befreiung durch die Rote Armee im Mai 1945 hatte für Hunderttausende Österreicherinnen auch entsetzliche Folgen

Als vor wenigen Wochen die ersten Bilder vom Einmarsch der russischen Armee in den Medien auftauchten, ereilte die Historikerin Barbara Stelzl-Marx umgehend ein Gedanke: Wie lange wird es wohl dauern, bis auch dieser Krieg all seine entsetzlichen Begleiterscheinungen enthüllt? Plünderungen, Vergewaltigungen, sinnlose Gewalt gegen Zivilisten?

Nazis damals - und heute?

Begleiterscheinungen, die auch jener Befreiung auf dem Fuß folgen sollten, die Russland am kommenden Montag, dem 9. Mai, wie jedes Jahr feiert. Mit dem „Tag des Sieges“ erinnert man an die Kapitulation Hitlerdeutschlands. Gerade heuer strapaziert Russlands Präsident Putin diese Erinnerung, zieht seit Wochen Vergleiche zwischen dem Nazi-Regime und der Regierung in der Ukraine.

"Russische Horden"?

Für Hunderttausende im Osten Österreichs begann mit der Befreiung auch die Besetzung durch die Rote Armee – und die sollte bei vielen ein Trauma über Jahrzehnte hinterlassen. Was die Nazi-Propaganda ihnen über Jahre über die „russischen Horden“ eingetrichtert hatte, sollte sich vor allem für die Frauen auf entsetzliche Weise bewahrheiten. Rund 270.000 – so die Schätzungen der Zeithistorikerin – wurden Opfer von Vergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee. Vergewaltigungen, so ihr Resümee, habe es nach dem Einmarsch der Alliierten im Frühjahr 1945 in jeder Besatzungszone gegeben, „in der sowjetischen allerdings in unvergleichlich größerem Ausmaß.“

Wie Russlands Besatzer in Österreich auftraten

Die Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung hat sich eingehend mit der Besatzung und ihren Begleiterscheinungen beschäftigt. Für „Stalins Soldaten in Österreich“

– so der Titel ihres Buches – hat sie über Jahre auch in den staatlichen Archiven in Moskau recherchiert, Dokumente gesichtet, die Jahrzehnte unter Verschluss waren.

Geheimdienste berichteten

Die sowjetische Führung ließ sich ständig über das Verhalten der Besatzungstruppen informieren. Politoffiziere und Geheimdienst-

mitarbeiter rapportierten alles von Vergewaltigungen bis zu Plünderungen und alkoholbedingten Gewaltexzessen nach Moskau. Dort war man ernsthaft über all das besorgt. Schließlich, analysiert Stelzl-Marx, „war die Rote Armee eine politische Armee. Deren Ansehen war letztendlich auch das Ansehen der Sowjetunion. Für das Ziel, allmählich einen kommunistischen Staat in Österreich aufzubauen, war dieses Ansehen entscheidend.“

Schwerste Strafen

Also versuchte man mit allen Mitteln durchzugreifen. Nicht nur versuchte man, den Alltag der Soldaten in Österreich strengstens zu kontrollieren und zu reglementieren, man verhängte auch schwerste Strafen über Übeltäter

– so sie gefasst wurden. Auf Vergewaltigung und Plünderung stand im schlimmsten Fall die Todesstrafe, oft wurde auch jahrelange Haft in Arbeitslagern verhängt.

Die Disziplin, die man mit dieser Härte erzwingen wollte, existierte aber vor allem in den ersten Monaten nach dem Einmarsch nur auf dem Papier. Die Realität sah anders aus. Schließlich hatte Stalin selbst, um seine Truppen in den letzten besonders blutigen Monaten des Krieges zu motivieren, Plünderung und Raub quasi genehmigt. Die Soldaten durften – so die offizielle Regelung – Pakete nach Hause schicken. Diese Pakete aber enthielten das Privateigentum der soeben befreiten Österreicher. Während viele Offiziere sich mit Teppichen und Kunstgegenständen eindeckten, schickten einfache Soldaten oft schlicht Kleider und Schuhe nach Hause in die Sowjetunion, die ja drei Jahre „Vernichtungskrieg“ der Wehrmacht hinter sich hatte.

"Meine Familie hungert"

Vielen Rotarmisten erschien sogar das Leben im zerstörten Österreich luxuriös im Vergleich zu dem, was sie zu Hause gewohnt waren. Und Gedanken an Rache und Wiedergutmachung waren nach den Grausamkeiten der deutschen Besatzer in Russland naheliegend. In den Worten eines Soldaten wird dieses Gefühl deutlich: „Hier in Österreich gibt es Lüster, luxuriöse Häuser, Kleidung, während meine Familie Hunger leidet und nichts anzuziehen hat.“

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