KURIER bei der Wahl in Ägypten

KURIER bei der Wahl in Ägypten
Die Ägypter ließen sich den Schritt in Richtung Demokratie nicht entgehen und stürmten die Wahllokale. Ein KURIER-Lokalaugenschein.

Sherin ist bestens vorbereitet. Auf einem kleinen Zettel hat sie die Namen der Kandidaten und den der Partei notiert, für die sie sich heute entscheiden will. Keine leichte Aufgabe für die 25-Jährige, immerhin stehen gut 50 Parteien zur Wahl und dazu jede Menge unabhängige Kandidaten. Und das Ganze in einem Wahlsystem, das einem den Überblick nicht leicht macht. Sherin hat sich auf der Homepage der Wahlbehörde informiert und die Zeitungen studiert: "Ist ja meine erste echte Wahl", meint sie lächelnd: "Da will ich nichts falsch machen."

Andere in der endlosen Schlange vor dem Wahllokal in Kairos Arbeiterviertel Shoubra haben sich's da leichter gemacht. Sie haben sich beim örtlichen Parteivertreter informiert. Der Zettel, den sie in der Hand halten, stammt von der "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit", dem politischen Arm der Muslimbruderschaft - und da ist alles ganz genau notiert, wie die Partei es will.

Süßigkeiten und Flugzettel

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Tipps vom Parteisekretär, vom Imam in der Moschee, oder direkt von einem Familienmitglied: Viele Menschen vor den Wahllokalen haben sich so ein bisschen Orientierung für ihren ersten Schritt in Richtung Demokratie geholt. Denn dass es in Richtung Demokratie geht, davon sind die meisten überzeugt.

In guter Laune und von den überall präsenten Straßenhändlern mit Tee und Süßigkeiten versorgt, verbringt man die lange Wartezeit in der Schlange vor den Schulen, in denen die Wahllokale untergebracht sind. Mitarbeiter der Kandidaten sind unterwegs, um Flugzettel zu verteilen, aus vorbeifahrenden Autos dröhnen noch einmal Wahl-Slogans. Das Werbeverbot vor den Wahllokalen kümmert niemanden.

Keine Lust auf Streit

Mit der Waffe im Anschlag sind Soldaten vor jedem Wahllokal aufmarschiert, doch vorerst bleibt es überall friedlich. Die Menschen sind so froh über die Chance, endlich einmal an einer freien Wahl teilnehmen zu können, dass sie keine Lust auf Streit haben. Da steht ein junger Student mit langem Bart, der für die radikalen Islamisten stimmen will, gleich hinter einem Computerexperten, der eine liberale Partei wählt. Man debattiert, wird - ganz nach ägyptischer Art - ein bisschen laut und einigt sich dann darauf, dass man ganz stolz auf das neue Ägypten ist.

Oft schleppen sich Greise die Stiegen zum Wahllokal hinauf, lassen sich den etwa einen halben Meter langen Wahlzettel aushändigen und strecken nach der Stimmabgabe stolz ihren tiefblauen Zeigefinger in die Höhe. Jeder Wähler muss ihn ins Tintenfässchen tauchen, damit es keiner heute zum zweiten Mal versucht. "Das ist meine erste Wahl", kann der 80-jährige Nagib seine Freude kaum in Zaum halten: "Und wahrscheinlich auch meine letzte. Die Chance habe ich mir nicht nehmen lassen."

Gegen Gewalt

Dass es noch mehr als Tinte braucht, um faire Wahlen zu organisieren, ist vielen bewusst. Überall in Ägypten herrscht Skepsis darüber, wie es mit der gerade erst angebrochenen Demokratie weitergehen soll. Wann und wie der weiterhin alles kontrollierende Militärrat die Macht tatsächlich an eine neue Regierung abgeben wird, weiß niemand so recht. Viele wollen vor allem keine Gewalt mehr sehen.

"Die Leute wissen einfach zu wenig von Politik, um sich wirklich entscheiden zu können", macht sich Zain Elabedin Abdallah, ein unabhängiger Kandidat, Sorgen. Der Geschäftsmann, der seit 30 Jahren in Innsbruck lebt, ist eigens nach Kairo zurückgekehrt, um in seinem alten Viertel in die Politik einzusteigen - und er hat nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Vor allem die Islamisten hätten in den Armenvierteln mit Geld um Stimmen geworben. 20 ägyptische Pfund hätten die jedem Wähler bezahlt.

Hilfe als Wahlmotiv

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Nicht immer ist Geld bei dieser Art von Wahlwerbung im Spiel, viele Wähler geben zu, dass sie sich schlicht für jenen Kandidaten entscheiden, der sich persönlich um sie oder ihre Familie gekümmert habe. Manchmal geht es um Hilfe bei einem Streit mit den allmächtigen Behörden, manchmal um einen Schulplatz für die Kinder oder um einen Termin beim Arzt. Und es sind fast immer die Islamisten, die sich um diese Alltagsprobleme kümmern.

Für den unabhängigen Kandidaten Zain Elabedin Abdallah Grund zum Ärger, aber er hofft trotzdem. "Wir haben Mubarak rausgeschmissen. Wer weiß, was diesem Land in den nächsten Monaten und Jahren noch alles gelingt. Wir müssen es nur angehen."

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