Putin spricht über Innenpolitik - in Jalta

Wladimir Putin bei seiner Rede in Jalta
Russlands Präsident besucht die Halbinsel für eine Rede. Lugansk von der ukrainischen Armee umstellt.

Russlands Außenpolitik werde friedliebend bleiben. "Wir", so Wladimir Putin, "werden nicht wie gewisse andere Leute mit einer geschwungenen Rasierklinge um die Welt reiten. Das ist kein Allheilmittel", sagte der Kremlchef in Anspielung auf die Entwicklungen in der Ukraine gestern bei einer Rede auf der zur Ukraine gehörenden, aber von Russland einverleibten Krim. Dabei hatte der Kreml einen besonders symbolträchtigen Ort gewählt: Jalta – jene Stadt, wo die Sowjetunion, die USA und Großbritannien im Februar 1945 die Aufteilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg verhandelt hatten.

Am Donnerstag hatte dort zunächst der Nationale Sicherheitsrat Russlands getagt, anschließend hatte Putin sich mit den Fraktionschefs der in der Duma vertretenen Parteien getroffen. Diese hatten angesichts der Entwicklungen in der Ukraine sowie in den Beziehungen zu Kiew und wegen der gegen Russland verhängten Sanktionen des Westens härtere außenpolitische Bandagen verlangt.

"Bruderkrieg"

Putin indes versprach lediglich, Russland werde alles in seinen Kräften stehende tun, um das Blutvergießen in der Ukraine zu beenden. Putin: "Das Land ist in blutigem Chaos versunken, in einem mörderischen Bruderkrieg." Es handle sich um eine humanitäre Katastrophe – kaum überraschende Aussagen.

Dabei hatten sich russische Medien von Putins erst am Vortag angekündigtem Krim-Besuch – es ist bereits der zweite seit der Annektion der Schwarzmeerhalbinsel vergangenen März – eine Sensation versprochen. Der Präsident, so wurde dessen Pressesprecher von der staatsnahen Nachrichtenagentur RIA nowosti zitiert, werde in Jalta "eine sehr bedeutsame Ansprache" halten.

Allein auf diese Ankündigung hin hatten sogar die Moskauer Börsen zu Beginn des Handelstages mit einem Zuwachs von mehr als einem Prozent reagiert. Als der Berg dann kreißte, gebar er jedoch nur ein Mäuslein. Anders als gewöhnlich verzichtete sogar das Staats-TV auf eine Live-Übertragung. Szenen-Applaus gab es auch nicht. Denn Putin arbeitete sich vor allem an der Innenpolitik ab.

Der "weitere Aufbau des Landes" müsse "mit Ruhe und Effizienz" vorangetrieben werden. Dabei werde Moskau sich nicht vom Rest der Welt isolieren und die Beziehungen zu seinen Partnern nicht abbrechen, diesen aber gleichzeitig nicht gestatten, sich Russland gegenüber herablassend zu verhalten.

Moskau behalte sich daher das Recht vor, internationale Abkommen und die Zuständigkeit des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auszusetzen. Das in der vergangenen Woche verhängte Embargo für Lebensmittel aus der EU sei indes keine bloße Retourkutsche. Mit dem – vorerst einjährigen – Einfuhrstopp solle vor allem die einheimische Agrarindustrie gestärkt und der Binnenmarkt für Staaten geöffnet werden, die mit Russland kooperieren wollen.

Die ukrainische Armee hat die seit Wochen belagerte Rebellenhochburg Lugansk im Osten des Landes nach eigenen Angaben vollständig umstellt. Die Regierungstruppen hätten das Dorf Nowoswitliwka eingenommen und damit die letzte Verbindungsstraße zum russischen Grenzübergang von Iswaryn abgeschnitten, sagte der Armeesprecher Andrej Lyssenko am Donnerstag.

Lugansk umstellt

Damit sei Lugansk nun vollständig von der ukrainischen Armee eingeschlossen. Die Regierungstruppen versuchen seit Wochen, die Rebellenhochburg zu erobern, doch leisten die prorussischen Separatisten erbitterten Widerstand. Die humanitäre Lage in der Industriestadt ist äußert schwierig, da es seit zwei Wochen keinen Strom und kein Wasser mehr gibt und Lebensmittel und Treibstoff knapp sind.

Der Militärchef der Separatisten, der Russe Igor Strelkow, hat unterdessen seinen Rücktritt erklärt. Die Rebellenführung der selbst erklärten Volksrepublik Donezk nahm den Rücktritt Strelkows als Verteidigungsminister an, wie die Rebellen am Donnerstag auf ihrer Webseite mitteilten. Strelkow werde einer anderen Tätigkeit nachgehen.

Auch der Separatistenführer in Lugansk, Waleri Bolotow, erklärte bereits zuvor seinen Rücktritt. Eine Kampfverletzung mache seine weitere Teilnahme an den Gefechten gegen die Armee unmöglich, aber er arbeitete hinter der Front weiter, sagte er. Vor kurzem hatte es auch in der Separatistenhochburg Donezk einen Führungswechsel gegeben.

Russische Konvoi steht vor der Grenze

Die Hilfslieferungen aus Moskau und Kiew sind noch in die Konfliktgebiete unterwegs. Die ukrainische Führung schickt mehr als 770 Tonnen Lebensmittel los, während der umstrittene russische Konvoi vor der Grenze steht.

Der umstrittene russische Hilfskonvoi für die Ostukraine nähert sich Journalisten zufolge einem Grenzübergang bei der Stadt Lugansk. Die Lastwagenkolonne sei etwa 50 Kilometer vor der Grenze zum Stehen gekommen, sagte ein Fotograf der European Pressphoto Agency, der den Konvoi begleitet.

Die ukrainische Regierung schickte eigene Lastwagen mit Hilfsgütern ins Krisengebiet. 19 Fahrzeuge hätten die Hauptstadt Kiew verlassen, teilte Irina Geraschtschenko von der Präsidialverwaltung mit. Insgesamt wolle die Regierung 773 Tonnen Lebensmittel in 71 Lastwagen nach Starobilsk bei Lugansk schicken, wo sie dem Roten Kreuz übergeben werden, sagte sie. Die Organisation soll auch das Verteilen von Gütern des russischen Konvois übernehmen.

Umgehung von Kontrollen möglich

Die russische Kolonne aus 280 Lastwagen habe bei Kamensk-Schachtinski auf einem Feld angehalten, sagte der epa-Fotograf. Von dort kann der Konvoi direkt auf ein Gebiet fahren, das von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Kiew hatte diese Variante zuletzt nicht ausgeschlossen. Eine Route über Charkow wurde verworfen, weil Kiew Angriffe von Radikalen auf den Konvoi fürchtet.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) will die Lastwagen nur begleiten, wenn die ukrainische Regierung sie darum bittet und wenn das Rote Kreuz die Führung der Mission übernimmt. Beide Bedingungen seien noch nicht erfüllt, sagte OSZE-Sprecherin Natascha Rajakovic. Eine Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) sagte, ihre Organisation benötige Sicherheitsgarantien aller Konfliktparteien.

Nach fast zwei Wochen ohne Wasser und Strom hoffen vor allem die Einwohner im Konfliktgebiet von Lugansk dringend auf Hilfe. Der Hilfstransport aus Moskau ist umstritten, weil die proeuropäische Regierung in Kiew Russland im Ostukraine-Konflikt als „Aggressor“ ansieht. Moskau wies Vorwürfe zurück, der Konvoi könnte Waffen für die prorussischen Separatisten enthalten.

Bei erbitterten Gefechten in der Ostukraine gab es erneut viele Tote. In Lugansk seien zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen, teilte die Stadtverwaltung mit. In Donezk wurde ein Mann getötet, elf Menschen wurden verletzt. Granaten beschädigten mehrere Gebäude.

Sanktionen aus Kiew

Das Parlament in Kiew hat den Weg für Wirtschaftssanktionen gegen Russland freigemacht. "Sanktionsgesetz verabschiedet - unser Land wird sich gegen den Aggressor verteidigen", schrieb der Chef der Übergangsregierung, Arseni Jazenjuk, am Donnerstag auf dem Kurzbotschaftendienst Twitter.

Das in zweiter Lesung beschlossene Gesetz ermächtigt den von Präsident Petro Poroschenko geleiteten Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat, die Sanktionen zu erlassen. Auf der Sanktionsliste stehen 65 mehrheitlich russische Unternehmen sowie 172 Personen, denen Kiew vorwirft, die Separatisten im Osten zu unterstützen. Sollten die Sanktionen nun erlassen werden, kann die Regierung von den Gelisteten Güter beschlagnahmen und ihre Aktivitäten im Land einschränken. Zudem erlaubt das Gesetz, den Warentransit durch die Ukraine zu stoppen. Von einer solchen Maßnahme könnten auch die Gaslieferungen aus Russland in die Europäische Union betroffen sein.

Nach scharfer öffentlicher Kritik strich das Parlament Bestimmungen aus dem Gesetz, die den ukrainischen Sicherheitsbehörden erlaubt hätten, die Arbeit von Medien aus dem In- und Ausland auch ohne Gerichtsbeschluss erheblich einzuschränken.

Russisches Militär hält Manöver im Nordwesten ab

Inmitten der angespannten Situation hat das russische Militär jetzt auch noch ein Manöver nahe der Grenze zum NATO-Mitglied Estland begonnen. Rund 2600 Soldaten seien am Donnerstag mit Fallschirmen im Gebiet Pskow gelandet, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Anschließend hätten die Einheiten die Eroberung strategisch wichtiger Gebäude trainiert. An dem Luftlandemanöver beteiligten sich insgesamt etwa 20 Hubschrauber und Flugzeuge. Auch weißrussische Spezialkräfte nahmen den Angaben zufolge teil. Das Manöver dauert bis zu diesem Samstag. In den vergangenen Wochen hatte der Westen Russland mehrfach vorgeworfen, mit Manövern in der Ukraine-Krise Spannungen zu schüren.

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