Sanktionen treffen jetzt Putins Freunde

EU und USA nehmen den engsten Machtzirkel um Russlands Staatschef ins Visier.

Gennadi Timtschenko hatte es wirklich verteufelt eilig. Quasi über Nacht wurde der russische Oligarch am Mittwoch seine Hälfte des Energiekonzerns Gunvor an seine schwedischen Partner los. Kein Sekunde zu früh, denn am Donnerstag stand sein Name schon ganz oben auf der Liste jener Personen, die die USA mit Einreiseverboten belegen und deren Auslandskonten gesperrt werden.

Timtschenko ist in guter Gesellschaft. Washington hat den engsten Kreis rund um Wladimir Putin ins Visier genommen. Es sind etwa jene Oligarchen, die von den größten Staatsaufträgen profitieren, wie etwa die Brüder Rotenberg, die Milliarden im Olympiaort Sotschi verbauen durften, oder der Chef der russischen Eisenbahn, Wladimir Jakunin. Neben den wirtschaftlich Mächtigen trifft es aber auch Chefideologen wie Sergej Iwanow, der Putins antiwestlichen Kurs – auch in der Ukraine-Krise – maßgeblich mitbestimmt.

Wie die hektischen Aktivitäten Timtschenkos deutlich machen, hat man dabei diese Mächtigen tatsächlich empfindlich getroffen – und mit ihnen leidet die russische Wirtschaft: Aktien-Kurse stürzen ab, die Kreditwürdigkeit des Landes wackelt.

Während man vor tatsächlichen Boykottmaßnahmen gegen die großen Spieler der russischen Wirtschaft, wie etwa den Energieriesen Gazprom, zurückschreckt, führt man an einer kleineren Bank vor, zu welchen Strafsanktionen man in der Lage ist. Das Auslandsgeschäft der Rossija Bank ist quasi lahmgelegt, große Kreditkartenfirmen haben ihre Geschäftskontakte mit ihr eingestellt.

"Putins Kassier"

Auch dieser Vorstoß hat System. Rossija, obwohl unter den kleineren Banken Russlands, gilt nach Meinung von US-Notenbankern als "das persönliche Geldinstitut für die mächtigsten Männer Russlands", ihr Chef, Juri Kowaltschuk als "Putins Kassier". Dass dieser natürlich auch seit vielen Jahren persönliche Kontakte zu Putin pflegt, ist typisch für das Netzwerk des Präsidenten. Wie viele andere Köpfe dieses Netzwerks hat auch der Banker eine Datscha, also ein mehr als luxuriöses Wochenendhaus, unmittelbar neben der des Präsidenten.

EU-Ergänzung

Wie eine Ergänzung zur Liste aus Washington wirkt jene, die die EU auf ihrem Sondergipfel veröffentlicht hat (12 Personen). Sie enthält neben maßgeblichen Politikern wie Vizepremier Dmitri Rogosin einflussreiche Strategen und Ideologen, die Putins politische Linie prägen. Dazu gehört Wladislaw Surkow, genannt der "graue Kardinal". Getroffen hat es auch den Chef der staatlichen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti, Dimitri Kisilew. Er hat die Krim-Annexion mit seiner Hasspropaganda auf "ukrainische Faschisten" begleitet.

Putin-Berater Sergej Glasjew, der zur Annexion der Krim aufgerufen hatte, steht auf der Liste ebenso wie Walentina Matwijenko, Präsidentin des russischen Oberhauses, Sergej Naryschkin, Duma-Präsident, Igor Turschenjkuk, Befehlshaber der russischen Streitkräfte auf der Krim, sowie zwei Vize-Kommandanten der russischen Schwarzmeerflotte, zwei Vorsitzende von Wahlkommissionen auf der Krim.

Sanktionen treffen jetzt Putins Freunde

So etwas hat es bei EU-Gipfeltreffen noch nie gegeben: Aus Sicherheitsgründen mussten die Staats- und Regierungschefs während Teile ihrer Sitzung auf ihre Handys und Tablets verzichten: Telefonate, SMS, Twitter-Meldungen und Facebook-Einträge waren unerwünscht, während des Abendessens wurden im Brüsseler Ratsgebäude eigene Störsender aktiviert. Es galt höchste Geheimhaltungsstufe, die Sorge, etwas könnte nach außen dringen oder Geheimdienste könnten mitlauschen, war groß.

Wirtschaftssanktionen

Bei den stundenlangen Diskussionen in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ging es nicht nur um Kontosperren und Einreiseverbote für ein weiteres Dutzend russischer Politiker und hochrangiger Militärs, sondern auch um mögliche Wirtschaftssanktionen im Falle einer weiteren Destabilisierung der Ost- und Südukraine durch die Russische Föderation.

Noch schrecken die EU-Leader davor zurück, Banken, Energiekonzerne und andere wichtige Wirtschaftsbereiche zu sanktionieren. Aber die EU-Kommission und die einzelnen Regierungen wurden aufgefordert, "gezielte Maßnahmen" gegen Russland auszuarbeiten. In Vorbereitung ist ein Handelsembargo gegen die Krim: Die EU will von dort bald nur noch Güter importieren, "wenn sie von der Ukraine kommen und nicht von Russland", sagte der britische Premier David Cameron.

Mit Interesse wurde am Gipfel der Vorschlag von Bundeskanzler Werner Faymann aufgenommen, die Ukraine möge sich als Brückenstaat zwischen Ost und West für das Modell der Neutralität nach österreichischem Vorbild entscheiden. Faymann sprach darüber nicht nur mit "führenden EU-Amtskollegen", sondern auch mit dem ukrainischen Übergangspremier Arsenij Jazenjuk. Er betonte, Sympathie dafür zu haben, aber die neu gewählte Regierung werde darüber entscheiden müssen. Um Entscheidungsträgern in der Ukraine die Neutralität schmackhaft zu machen, erwägt der Bundeskanzler eine gemeinsame Reise mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nach Kiew.

Abkommen abgesegnet

Um die Ukraine politisch zu unterstützen wurde am Freitag ein Teil des EU-Assoziationsvertrages unterzeichnet. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von der "Einigung auf eine gemeinsame Wertebasis: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit."

Die Nicht-Unterzeichnung des Abkommens im November hatte die Proteste in Kiew befeuert. Bedenken, dass die Unterzeichnung nun die Spannungen mit Russland verschärfen könnte, wies Faymann zurück: "Putin reagiert auch ohne alle Assoziierungsabkommen heftig."

Das Abkommen sieht eine enge politische Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Kiew vor. Der wirtschaftliche Teil soll zu einem späteren Zeitpunkt unterschrieben werden. Die EU ist aber jedenfalls bereit, einseitig ab Juni auf alle Zölle für ukrainische Waren zu verzichten. Die Ukraine soll das um 500 Millionen Euro pro Jahr entlasten.

OSZE-Mission beschlossen

Gesprächsthema beim Gipfel war auch die geplante Beobachter-Mission der OSZE in der Ukraine. Nachdem Russland sich bisher dagegen gesperrt hat, sagte Außenminister Lawrow am Freitag, man könne sich eine solche Mission vorstellen – wenn die Krim ausgeklammert bliebe. So wird es nun wohl auch geschehen: Am Freitagabend wurde die Mission beschlossen. Zunächst sollen 100 Beobachter entsandt werden. Sie sollen alle Landesteile besuchen, aber nicht die Krim.

Die Ukraine fordert Energielieferungen aus der EU. Es sei dringend, dass Energie "in umgekehrter Richtung" fließe, da Russland seine Verträge verletze und den Gaspreis verdoppele, sagte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk am Rande des EU-Gipfels in Brüssel.

Russland hat am Freitag der Ukraine einen weiteren Nachlass auf den Preis für Erdgas gestrichen. Grundlage des seit 2010 gewährten Rabatts von 100 Dollar (72,66 Euro) je 1000 Kubikmeter sei die Nutzung eines Marinestützpunkts auf der Krim gewesen, sagte ein Sprecher von Präsident Wladimir Putin. Nach dem Referendum vom Sonntag sei die russische Schwarzmeerflotte de jure nicht mehr in der Ukraine, sondern in Russland stationiert. Daher existiere der Rabatt nicht mehr.

Den Preisnachlass hatten der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew und der damalige pro-russische ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch vereinbart, als der Vertrag für die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim verlängert worden war.

Moskau hatte der Ukraine bereits Anfang März einen Rabatt gestrichen. Die von der Pleite bedrohte Ukraine muss nun 480 Dollar (348 Euro) pro tausend Kubikmeter russisches Erdgas bezahlen – einen der höchsten Preise in ganz Europa.

Der ukrainische Regierungschef sprach von einer Strafe für den "proeuropäischen Weg" des Landes. "Es ist wichtig, dass wir alle mit einer Stimme sprechen, damit wir niemandem erlauben – auch nicht Russland – Energie als eine neue Atomwaffe zu benutzen", sagte er.

Die EU arbeitet an sogenannten "Reverse Flow"-Mechanismen, die beispielsweise die Lieferung von Gas aus der Slowakei in die Ukraine erlauben würden.

Laut den österreichischen Grünen gibt es in der Krise zwischen dem Westen und Russland um die Ukraine zwei Wege: Den der Eskalation und den der Deeskalation. Bei einer Pressekonferenz in Wien forderten Peter Pilz und die außenpolitische Sprecherin Tanja Windbüchler, dass russische Sicherheitsbedenken zwar ernst genommen werden müssten, ein Bruch des Völkerrechts (wie durch die Annexion der Krim) jedoch nicht hingenommen werden könne.

Der gangbarste Weg aus der Krise ist demnach laut den Grünen eine starke Neutralität der Ukraine mit Sicherheitsgarantien Russlands und der EU sowie Staatsverträge sowohl mit Russland als auch der EU. Die EU müsse zugleich aber mit klaren Sanktionen gegen Putins Umfeld reagieren.

Windbüchler fordert zudem mehr österreichische Eigeninitiative in Sachen Kontensperrung. Eine entsprechende parlamentarische Anfrage erging an das Finanzministerium. Auffällig sei, so Windbüchler, dass der Name Dmytro Firtash sowohl auf der von Österreich Ende Februar veröffentlichten Liste als auch auf jener der EU von Anfang März nicht aufscheine.

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