Selenskij bittet Scholz um mehr Waffen und schärfere Sanktionen
Tag 218 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij hat Deutschland um weitere Waffenlieferungen an Kiew und die Verschärfung des geplanten achten EU-Sanktionspakets gegen Moskau gebeten. "Zum Thema Verteidigung habe ich unsere Erwartung an ein Raketenabwehrsystem aus Deutschland unterstrichen – vielen Dank für Ihre Hilfsbereitschaft bei der Luftverteidigung", sagte Selenskij am Mittwoch in seiner täglichen Videoansprache nach einem Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Neues Sanktionspaket Thema
Beim Gespräch sei auch das neue Sanktionspaket der EU erörtert worden. "Stand heute gibt es zum achten Sanktionspaket noch etwas hinzuzufügen", forderte er. Neben dem Scholz-Telefonat, bei dem laut Selenskij auch die mutmaßliche Sabotage an der Pipeline Nord Stream besprochen wurde, berichtete der ukrainische Präsident über weitere Gespräche - und bedankte sich in erster Linie beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für dessen Vermittlung beim Gefangenenaustausch und die Militärkooperation. Bei US-Präsident Joe Biden bedankte er sich für die neuen Militärhilfen über 1,1 Milliarden Dollar.
Die Ukraine werde sich trotz der Scheinreferenden in den von Russland besetzten Regionen nicht mit Gebietsverlusten abfinden und ihr Territorium zurückerobern. Die russischen Soldaten forderte er einmal mehr auf Russisch dazu auf, zu fliehen - oder sich zu ergeben. Nur so könnten sie ihr Leben retten, sagte der 44-Jährige.
Beseitigung von Landminen
Kanada soll unterdessen nach Angaben des ukrainischen Präsidenten die Beseitigung von Landminen in seinem Land koordinieren. "Ich habe Ministerpräsident Justin Trudeau eingeladen, eine globale Initiative anzuführen, um unser Land von russischen Minen und Granaten zu befreien. Als Folge des russischen Krieges gibt es in der Ukraine eine der größten Minenkonzentrationen der Welt", sagt Selenskij. Er danke Kanada für seine Hilfsbereitschaft. In einem Bericht des Büros von Trudeau über das Gespräch der beiden Staatschefs wurde Selenskyjs Vorschlag nicht erwähnt. Kanada war 1999 maßgeblich am von 133 Staaten unterzeichneten Ottawa-Übereinkommen beteiligt, das den Einsatz dieser Waffen untersagt. Die USA, Russland, China und Indien haben die Vereinbarung nicht unterschrieben.
Viertes Leck an Nord-Stream-Pipelines
Die schwedische Küstenwache hat indes nach eigenen Angaben ein viertes Gasleck an den beschädigten Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee entdeckt. An den russischen Pipelines waren Anfang der Woche innerhalb kurzer Zeit in dänischen und schwedischen Gewässern zunächst drei Lecks entdeckt worden.
Die genaue Ursache ist unklar. Westliche Sicherheitsexperten gehen aber von Sabotage aus. Seitens der EU wurden Tests der kritischen Infrastruktur angekündigt.
NATO vermutet Sabotage
Die NATO geht auch von einem Sabotage-Akt an den Nord-Stream-Pipelines aus und zeigt sich im Fall von Angriffen auf kritische Infrastruktur zur Gegenwehr entschlossen. "Alle derzeit vorhandenen Informationen deuten darauf hin, dass dies das Ergebnis eines absichtlichen, rücksichtslosen und unverantwortlichen Akts der Sabotage ist", erklärte das Militärbündnis mit Blick auf die Lecks an den Gaspipelines in der Ostsee.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte: "Jedem vorsätzlichen Angriff auf die kritische Infrastruktur von Verbündeten wird mit einer geschlossenen und entschlossenen Antwort begegnet."
Brain-Drain in Russland wegen Flucht
Die Flucht Zehntausender russischer Männer wegen der Teilmobilmachung hat nach britischer Einschätzung zu einem enormen intellektuellen Aderlass für Russland geführt. "Unter denjenigen, die versuchen, Russland zu verlassen, sind die Bessergestellten und Gutausgebildeten überrepräsentiert", teilte das Verteidigungsministerium in London am Donnerstag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.
Wenn man auch die Einberufenen berücksichtige, dürften die binnenwirtschaftlichen Auswirkungen enorm sein, hieß es weiter. Die Behörde verwies auf die geringere Verfügbarkeit von Arbeitskräften und einen rasanten Brain-Drain, also einem Verlust von Fachkräften etwa in den Technikbranchen.
"In den sieben Tagen, seit Präsident (Wladimir) Putin die 'Teilmobilmachung' angekündigt hat, hat ein beträchtlicher Exodus von Russen begonnen, die der Einberufung entgehen wollen", hieß es in London weiter. Zwar seien genaue Zahlen unklar. Aber vermutlich übertreffe die Zahl der Ausgereisten die Stärke der Invasionsarmee, mit der Russland im Februar die Ukraine angegriffen hatte. Schätzungen zufolge hatte Moskau vor dem Aufmarsch etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland aufmarschieren lassen.
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