Waffen sollen schweigen, doch Friede ist weit entfernt
Eine Woche Intensiv-Diplomatie, gegipfelt in einem 17-stündigen Verhandlungsmarathon, brachte das Ergebnis: zwei Papiere, eine Grundsatzerklärung der Verhandler (François Hollande, Präsident Frankreichs; Angela Merkel, Bundeskanzlerin Deutschlands, Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine; Wladimir Putin, Präsident Russlands) und ein 13-Punkte-Plan. Die gute Nachricht: Es soll einen Waffenstillstand geben. Die schlechte: Ob mit dem Gipfel von Minsk der Weg zu einer dauerhaften Beilegung der Krise eingeschlagen wurde, ist mehr als fraglich. Es gibt viele Unbekannte. Angela Merkel nannte die Einigung einen "Hoffnungsschimmer", US-Präsident Obama „einen bedeutenden Schritt“. An der neuen Runde von Sanktionen gegen Russland hält die EU dennoch fest.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag sollen beide Seiten jetzt einmal das Feuer einstellen. So viel steht fest. Danach wird es kompliziert. Sowohl die ukrainische Armee als auch die Separatisten müssen ihre schweren Waffen außer Reichweite der Front bringen. All das unter Beobachtung der OSZE. Basis des Rückzuges ist die Linie vom 19. September 2014, die mit der derzeitigen Frontlinie nur mehr wenig zu tun hat.
Auch von Wahlen nach ukrainischer Gesetzgebung in den von den Separatisten gehaltenen Bezirken ist die Rede. Und auch davon, dass alle Gefangenen auf beiden Seiten freikommen sollen, dass es eine Amnestie geben soll und alle illegalen bewaffneten Gruppen aufgelöst und alle ausländischen Kämpfer abgezogen werden sollen. Zudem sollen Bank- und Sozialtransfer-Mechanismen in der Region wieder aufgenommen werden. Und die ukrainischen Grenztruppen sollen Zugang zu jenen Abschnitten der Grenze bekommen, die derzeit im Separatistengebiet liegen und über die massenhaft bis zuletzt russisches Militärgerät rollte.
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Verfassungsänderung
All das, und vor allem Letzteres, ist aber an Bedingungen geknüpft, über die selbst der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nur begrenzt Einfluss hat. Symbolkraft hat die Bedingung, dass die ukrainische Regierung mit den Führern der Separatistengebiete – und damit aus Sicht Kiews mit Terroristen – reden wird müssen.
Es gibt also mehr als genug Konfliktstoff. Und es gibt Passagen, die reichlich Raum für Interpretation lassen: Etwa der Punkt der illegalen bewaffneten Gruppen, in dessen Zusammenhang Separatisten und Kreml-Führung auf ukrainische Freiwilligenbataillone unter dem Kommando des Innenministeriums verweisen könnten – die aber das Rückgrat der ukrainischen Streitkräfte bilden.
Der Abgeordnete der in der Regierungskoalition vertretenen Partei Samopomitsch , Oleksiy Skrypnyk, ist jedenfalls skeptisch, was das Abkommen angeht. Putin werde seine "destruktiven Aktivitäten" in der Ukraine fortsetzten. Einfach, weil eine europäische Entwicklung der Ukraine dem "KGB-Regime in Russland" den "Todesstoß" versetzen würde.
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Die Weltbank kommt der finanziell angeschlagenen Ukraine dieses Jahr mit bis zu zwei Mrd. Dollar (1,77 Mrd. Euro) zu Hilfe. "Die Weltbank ist bereit, das ukrainische Volk 2015 in Höhe von zwei Milliarden Dollar (1,77 Milliarden Euro) zu unterstützen angesichts der aktuellen wirtschaftlichen, finanziellen und geopolitischen Herausforderungen", erklärte Weltbank-Präsident Jim Yong-kim am Donnerstag.
Die Hilfen sind Teil eines Hilfsplans in Höhe von insgesamt 40 Milliarden Dollar, den der Internationale Währungsfonds (IWF) früher am Donnerstag präsentiert hatte. Die Weltbank machte keine Angaben, ob das Geld als direkte Budgethilfe oder für bestimmte Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte gezahlt werden soll. Die Washingtoner Entwicklungsbank teilte aber mit, dass die Hilfsmittel zugunsten der armen Bevölkerung sowie zur Unterstützung der Reformvorhaben der Regierung in Kiew eingesetzt werden sollten. Die Auszahlung der Mittel soll in Tranchen erfolgen. Im vergangenen Jahr unterstützte die Weltbank die durch den Konflikt mit den prorussischen Rebellen geschwächte Ukraine mit 2,9 Milliarden Dollar, davon 1,25 Milliarden in Form von Budgethilfe.
Der IWF hatte am Donnerstag angekündigt, über die kommenden vier Jahre für die Ukraine 17,5 Milliarden Dollar bereitzustellen. Der Rest des 40-Milliarden-Dollar-Pakets soll demnach aus bilateralen Krediten kommen und durch die Streichung privater Schulden, über die derzeit verhandelt wird. Die Ukraine war bereits vor der schweren Krise vergangenes Jahr von der Pleite bedroht. Der politische Umsturz im Frühjahr sowie der folgende militärische Konflikt mit den prorussischen Separatisten im Osten des Landes stürzten das Land in eine schwere Wirtschaftskrise.
Die vergangenen Tage wird die deutsche Regierungschefin Angela Merkel wohl nie vergessen. Sie jettete über den halben Globus, legte 20.000 km zurück, ein Top-Krisen-Treffen jagte das nächste.
Tag 1 (Donnerstag, 5. Februar) Am Abend fliegt die Kanzlerin nach Kiew, um mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko eine Friedenslösung zu diskutieren.
Tag 2 Zurück in Berlin, hat sie einen Termin mit einem irakischen Politiker, es geht um den Kampf gegen den IS-Terror. Dann weiter nach Moskau. Im Kreml bespricht die Deutsche mit Russlands Staatschef Putin die Ukraine-Krise. Mit dabei: Frankreichs Präsident Hollande.
Tag 3 Von Moskau nach München zur Sicherheitskonferenz, einer der wichtigsten Termine für die globale außenpolitische "Gemeinde".
Tag 4 Wieder im Kanzleramt, bespricht Merkel in einer Schaltkonferenz mit Hollande, Putin und Poroschenko Möglichkeiten für eine Waffenruhe in der Ukraine. Am Nachmittag hebt sie Richtung Washington ab. Im Flieger: Vorbereitungen für das G-7-Treffen im Juni in Bayern sowie Debatten über die griechische Schuldenkrise.
Tag 5 Treffen mit US-Präsident Obama. Die beiden diskutieren die Ukraine-Krise. Nach einer Begegnung mit dem Weltbankchef geht es weiter nach Ottawa, Kanada, wo Merkel mit Premier Harper zusammentrifft.
Tag 6 Merkel ist wieder in Berlin: Keine Termine!
Tag 7 Kabinettssitzung, Übergabe eines Blumenstraußes durch den Floristenverband anlässlich des Valentinstages, Teilnahme am Staatsakt für den verstorbenen Alt-Bundespräsidenten Weizsäcker. Danach fliegt Merkel zum Ukraine-Gipfel in Minsk.
Tag 8 Die Nacht wird durchverhandelt. Nach dem Kompromiss reist die Kanzlerin zum EU-Gipfel nach Brüssel, wo es um die Griechen geht.
Friedensfahrplan hin oder her – auch am Donnerstag gingen die Kampfhandlungen in der Ostukraine weiter. Offenbar wollen die pro-russischen Separatisten, die zuletzt auf der Siegesspur waren, noch vor der Waffenruhe Fakten schaffen. Ganz oben auf der Liste stehen die Hafenstadt Mariupol und der für Moskau – für Nachschub und Kohleexport – wichtige Eisenbahnknoten Debalzewo. Die dort eingekesselten etwa 8000 ukrainischen Soldaten forderte Kremlchef Putin – vor Inkrafttreten der Waffenruhe – zur Aufgabe auf.
Aber auch in Donezk war schon in der Früh Artilleriegefechtslärm zu hören. "Die Situation ist angespannt. Jeder muss hier permanent bereit sein, sich in Sicherheit zu bringen", berichtet n-tv-Reporter Dirk Emmerich. Die Frage sei nur, wo die Menschen wirklich sicher sind. Nicht wenige Familien haben schon einige Stationen auf ihrer Flucht hinter sich.
Flucht – aber wohin?
So wie Svetlana Kovalenk (44) und ihre fünf Kinder, die Älteste ist 19 und schwanger. Im November war ihr Haus in Gorlovka schwer beschädigt worden. Ohne Strom und Wasser beschloss Svetlana mit ihren Kindern und dem im Stich gelassenen sechsjährigen behinderten Nachbarsbuben die Flucht. Sie landeten in Artemivsk. Doch auch dort gab es Kämpfe, und sie flohen weiter nach Kramatorsk, wo sie in einem Notquartier des UNHCR unterkamen. Doch auch in Kramatorsk sind sie nicht sicher, bei einem Angriff der Separatisten starben am Dienstag 15 Menschen. "Natürlich haben wir wahnsinnige Angst, dass uns der Krieg wieder einholt", erzählt Svetlana einer Reporterin von Vice News. "Wir würden gern weg von hier – aber wohin?"
Im Raum Lugansk, wohin laut Kiew in der Nacht zum Donnerstag Russland rund 50 Panzer, 40 Raketensysteme und gepanzerte Fahrzeuge verlegt hat, sind viele Dörfer völlig zerstört. Die Menschen, die ausharren, sind verzweifelt. "Wir haben kein Wasser, keine Heizung. Nichts. Alles hängt vom Strom ab – und den gibt es schon lange nicht mehr", sagt ein alter Mann. In einem dunklen Keller harren zwei dick eingepackte ältere Frauen aus. "Wenn wir das hier überstehen, werden wir hundert Jahre alt."
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