Kraftprobe auf den Philippinen
"Stoppt die Schüsse, stoppt die Morde!", skandieren mehrere hundert Demonstranten in ohrenbetäubender Lautstärke. Wut und Verzweiflung liegen in der Luft, wie die Bilder internationaler TV-Stationen zeigen. Ein Mann auf der Bühne schreit Parolen in sein Mikrofon, die sich gegen die Drogenpolitik des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte richten – und erntet zustimmendes Gebrüll.
80 Tote in fünf Tagen
Tausende Menschen sollen seit dem Amtsantritt Dutertes vor etwas mehr als einem Jahr erschossen worden sein, allein 80 in den vergangenen fünf Tagen. Erschossen auf den Verdacht, Drogendealer zu sein. Vergangene Woche erwischte es den 17-jährigen Schüler Kian delos Santos. Polizisten erschossen ihn auf offener Straße – und das, obwohl er höchstwahrscheinlich unschuldig war. "Er war noch ein Kind. Die Beamten wurden suspendiert, wir werden den Hergang zur Gänze aufklären", bedauerte Polizeichef Ronald dela Rosa.
Den Demonstranten genügt das nicht. Sie misstrauen Duterte, der seinen "Kampf gegen die Drogen" mit dem Holocaust verglich. "Deutschland hatte drei Millionen Juden und Hitler. Wir haben drei Millionen Drogendealer und mich", sagte er vor großem Publikum.
"Ich kann ihm nicht vertrauen. Dieser Kampf gegen die Drogen ist für mich in erster Linie eine Möglichkeit, sich unliebsamer Konkurrenten zu entledigen. Ich könnte jeden als Drogendealer melden und man würde ihn sofort erschießen", sagt Chloe, eine Sympathisantin der Demonstranten zum KURIER.
Auch die Katholische Kirche, die auf den Philippinen eine einflussreiche Kraft ist, macht nun gegen Duterte mobil: Erzbischof Socrates Villegas will die Kirchenglocken im Land jede Nacht für 15 Minuten läuten lassen. Dies solle ein "Weckruf für die Nation" sein. Bereits zuvor hatte die Kirche Kritik an der Drogenpolitik Dutertes, aber auch an seinem Plan, die Todesstrafe wieder einzuführen, geäußert.
Riss durch Gesellschaft
Mehr als 80 Prozent der Filipinos ist streng katholisch, jedoch genießt Duterte nach wie vor hohes Ansehen in der Bevölkerung – seine Beliebtheitswerte liegen ebenfalls bei 80 Prozent. Viele vermuten einen sich anbahnenden Machtkampf zwischen Kirche und Staat: "Es geht ein tiefer Riss durch die Gesellschaft", sagt Lei, eine philippinische Studentin. Familien, Freundeskreise, alle haben unterschiedliche Meinungen zum Präsidenten.
Walter, ein philippinischer Soldat, bekennt sich "mit ganzem Herzen" zu Duterte: "Niemand im Westen kann sich vorstellen, wie unsicher unser Land vor Duterte war".
Die Spaltung macht sich auch auf der Demonstration bemerkbar: Die Protestler rufen Passanten und vorbeifahrenden Autos dazu auf, mitzudemonstrieren – und ernten Desinteresse und böse Blicke.
Bis 2022 wird Rodrigo Duterte im Amt sein, danach wird er – das hat er versprochen – abtreten.
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