Kommunalwahlen in Frankreich: Weiblicher Dreikampf um Paris
Rachida Dati, Kandidatin der konservativen „Republikaner“ für das Pariser Rathaus, fuchtelt während einer TV-Debatte mit einem Foto: man sieht Ratten, die im Unrat stöbern, der sich am Gehsteig ausgebreitet hat. „So schaut ihre Hinterlassenschaft aus,“ sagt Dati zur derzeitigen sozialistischen Bürgermeisterin, Anne Hidalgo.
Ungeziefer, Schmutz, Straßenkriminalität – mit diesen Themen ist die forsche bürgerliche Politikerin Dati, laut Umfragen, der linken Favoritin Hidalgo gefährlich nah gekommen.
Die Schlacht um Paris steht im Mittelpunkt der landesweiten Gemeinderatswahlen, die trotz Corona-Virus in zwei Durchgängen an diesem und kommenden Sonntag stattfinden werden.
Allerdings wurde den Wählern empfohlen, Kugelschreiber mitzubringen (für die vorgeschriebene Unterschrift im Wählerverzeichnis) und untereinander Abstand zu halten, was kein schweres Unterfangen sein dürfte: es wird mit einer Rekordenthaltung gerechnet.
Es wird aber keine nachträgliche Anfechtung erwartet, weil die voraussichtlichen Verlierer vielfach dem Regierungslager um Präsident Emmanuel Macron angehören dürften.
Am schwersten könnte die Niederlage in Paris wiegen, hatte doch der liberale Newcomer Macron bei seinem Wahlsieg 2017 in der Hauptstadt mit ihrer überdurchschnittlich gebildeten Bevölkerung ein Rekordergebnis eingefahren.
Sexaffäre
Diesmal aber lief für Macrons Partei alles schief: ihr ursprünglicher Kandidat, ein farbloser Apparatschik, kam in den Umfragen nicht vom Fleck, und als er sich als Familienmensch neu inszenieren wollte, stürzte er über einen Sexaffäre. Daraufhin sprang Gesundheitsministerin Agnes Buzyn überstürzt für ihn ein.
Die renommierte Medizinerin (eine Transplantationsspezialistin), Tochter von polnischen Holocaust-Überlebenden, wirkt zwar freundlicher als ihre scharfkantig auftretenden Rivalinnen Dati und Hidalgo. Buzyn hat aber sichtlich Wissenslücken bei städtischen Dossiers.
Obendrein konnte auch Buzyn einen populären Dissidenten, der sich von Macrons Partei in Paris getrennt hatte, nicht heimholen: Cedric Villani, ein Mathematik-Genie und notorischer Querdenker, wird ihr etliche Stimmen wegschnappen.
Es ist aber vor allem der überraschende Höhenflug von Rachida Dati, der die Kampagne dominierte.
Schillernde Dati
Dati, die aus einer nordafrikanischen Arbeiterfamilie stammt, war Justizministerin unter dem bürgerlichen Staatschef Nicolas Sarkozy und eine schillernde Figur. Mit sicherem Gespür für die Schwächen ihrer sozialistischen Gegnerin im Rathaus, beackerte sie die nordöstlichen Bahnhofsviertel.
Das sind Multi-Kulti-Gegenden, eigentlich Bastionen der Pariser Linken, in denen aber Sicherheit und Sauberkeit schleifen gelassen wurden. Wobei sich die linke Stadtverwaltung und die Macron unterstehenden Staatsbehörden gegenseitig die Schuld zuschieben.
„Strafende Ökologie“
Dati versucht aber auch die Wut der meistens im Stau steckenden Autofahrer auszuschlachten. Der Sozialistin Hidalgo und den mit ihr verbündeten Grünen wirft Dati vor, sie würden durch Einschränkung des PKW-Verkehrs eine „strafende Ökologie“ betreiben.
Das ist aber eine höchst gefährliches Schlachtfeld für die Konservativen, die sich schon bisher in Verkehrsfragen an Hidalgo die Zähne ausgebissen haben. Zwei Drittel der Pariser Haushalte sind bereits ohne eigenes Auto, bloß elf Prozent der Wege werden mit einem Privatfahrzeug zurückgelegt.
Die Linke verwaltet Paris seit 2001, zunächst im Stadtrat. Hidalgo, die in Spanien geboren wurde, mit ihren Eltern, einer Näherin und einem Elektriker, 1962 nach Frankreich kam und beruflich als Arbeitsinspektorin begann, ist seit 2014 Bürgermeisterin.
Unter der linken Rathausmehrheit wurde der Platz des privaten Autos im Verkehr konsequent zurückgedrängt und Schnellstraßen entlang der Seine in Fußgängerzonen umgewandelt. Diese Maßnahmen werden heute nicht einmal mehr von den Konservativen in Frage gestellt.
Einiges geschah ruckartig, Radwege und gesonderte Trassen für städtische Busse blieben unvollständig und störanfällig. Aber dahinter steckt das immense Problem des Pariser Flächenmangels.
Kleiner als Graz
Paris (ohne Vororte, die nicht eingemeindet sind) ist flächenmäßig kleiner als Graz, hat aber 2,15 Millionen Einwohner und ist damit die dichteste Stadt Europas. Dazu kommt, dass ein Teil der 12 Millionen Einwohner des umliegenden Großraums täglich hinein oder durch-pendeln.
Deswegen haben die Wohnkosten horrende Höhen erreicht. Die linke Stadtverwaltung hat geradezu heroische Anstrengungen unternommen um an allen Ecken und Enden, auf noch so kleinen Grundstücken, innovative, sozial erschwingliche Bauten, teilweise im Verbund mit privaten Immobilienfirmen, und Grünanlagen, darunter Gemeinschaftsgärten, zu errichten.
Ihre bürgerlichen Vorgänger hatten Sozialbau und Verkehrsberuhigung sträflich vernachlässigt. All dies könnte doch wieder für Hidalgo zu Buche schlagen.
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