Österreich und Russland: „Kleines Land, pragmatische Haltung“
Ein, zwei, viele russische Diplomaten: Staat auf Staat vollführte zu Wochenbeginn die gleiche politische Drohgebärde. Am Dienstag zog auch noch die NATO nach: „Sieben russischen Diplomaten wurde die Akkreditierung entzogen, weitere drei Akkreditierungsgesuche werden abgelehnt“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Man sende damit die „klare Botschaft an Russland, dass sein inakzeptables und gefährliches Verhalten mit Kosten und Konsequenzen verbunden ist“. Russland hatte wie angekündigt scharf reagiert: „Das alles ist ein Ergebnis kolossalen Drucks, den Washington leider als Werkzeug auf internationaler Ebene nutzt“, so Russlands Außenminister Sergej Lawrow.
Österreich neutral
Während die diplomatische Krise weiterhin Wellen schlägt, verhält sich Österreich ruhig: Bereits vergangene Woche hatte Kanzler Sebastian Kurz klargestellt, dass Österreich keine russischen Diplomaten ausweisen werde. Außenministerin Karin Kneissl sagte gestern: „Gerade in schwierigen Zeiten müssen wir Vermittler sein und den Dialog aufrechterhalten.“ Selbst wenn Russland tatsächlich für den Anschlag im britischen Salisbury verantwortlich sein solle, werde man wahrscheinlich keine weiteren Schritte unternehmen.
Dies war der New York Times die Erwähnung wert, dass Österreich sich wegen der FPÖ-Regierungsbeteiligung weigern würde, Diplomaten auszuweisen.
Lange "Tradition"
„Eindeutig falsch“, sagt Stefan Lehne, Ex-Diplomat, zum KURIER und fährt fort: „Österreichs Haltung hat jahrzehntelange Tradition. Österreich hat sich immer in Bezug auf die russische Politik zurückgehalten, hat wenig Kritik an den autokratischen Tendenzen geäußert und war seit jeher Sanktionen gegen Russland abgeneigt.“ Das ließe sich auf die Neutralitätspolitik zurückführen, ebenso auf wirtschaftliche Interessen. Aber auch auf die „ultrapragmatische Haltung eines kleinen Landes, dessen Bevölkerung keinen hohen moralischen Anspruch an Außenpolitik stellt“, sagt Lehne, heute Mitglied der renommierten Denkfabrik „Carnegie Europe“.
Es geht um "Business"
Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht vor allem die wirtschaftlichen Interessen Österreichs als Grund für dessen Position: „Derzeit betreibt Österreich in der Politik mit Russland vor allem Business – es geht Wien zum überwiegenden Anteil um den Schutz eigener großer wirtschaftlicher Investitionen in Russland“, sagt er im Gespräch mit dem KURIER.
Die von Kurz hervorgehobene Rolle Österreichs als Brückenbauer zwischen Ost und West berührt Lehne eigenartig: „Das ist ein Versatzstück aus den 1970er-Jahren. Österreich ist heute als EU-Mitglied Teil einer Solidargemeinschaft und von NATO Staaten umgeben.“
Die Aktion der 26 Staaten versteht Lehne als Methode der Abschreckung: „Die Russen haben offenbar in Kauf genommen, dass ihre Verantwortung für den Anschlag ans Licht kommt. Sie hätten auch zu diskreteren Maßnahmen greifen können, als auf ein spezifisches in Russland hergestelltes Nervengift. Daher griffen die Staaten zu dieser robusten Reaktion und zeigen Moskau, dass das so nicht geht.“
Eskalation hilft Regime
Meister ist in diesem Punkt anderer Meinung: „Es gibt keinen vergleichbaren Fall in der Geschichte, wo derart koordiniert ausgewiesen wurde. Damit hebt man den Konflikt auf eine neue Eskalationsstufe, von der niemand etwas hat. Man stärkt damit nur, die vom russischen Regime gepflegte und geschürte Wagenburg-Mentalität. Zudem werden Gesprächskanäle geschlossen. Das ist nicht zielführend“, sagt er.
Die EU hat für Meister keine gute Figur gemacht: „Dass einige Länder nicht mitziehen, verdeutlicht die Uneinigkeit der Europäer im Umgang mit Russland. Das liefert der russischen Diplomatie Angriffspunkte, die sie auch nützen wird.“ Lehne beurteilt die Situation als nicht so tragisch: „In manchen Fällen – auch im Verhältnis zu Russland – war die EU völlig gespalten und damit paralysiert, in diesem nicht.“
Gewisse Einigkeit
Der Europäische Rat habe immerhin den Anschlag verurteilt, die Verantwortlichkeit Russlands dargelegt und seinen EU-Botschafter aus Moskau abgezogen. „Weiter reichte die Übereinstimmung aber nicht. Daher wurde es den einzelnen EU-Staaten überlassen, ihre Solidarität mit Großbritannien konkret umzusetzen“, schließt Lehne.
Kommentare