Keine Angst vor grenzenloser Pioniergesellschaft

Keine Angst vor grenzenloser Pioniergesellschaft
Es geht längst schon nicht mehr nur um unser Verhalten als Individuen, sondern um uns als menschlicher Algorithmus.

Der Film "The Circle" wird nun auch in unseren Kinos gezeigt. Der Roman von Dave Eggers erschien schon vor ein paar Jahren und wurde damals ebenso kritisiert wie jetzt der Film – zu banal. Vielleicht, was Story und Machart betrifft. Aber der wahre Kern ist ganz offensichtlich: Die Daten, die wir Konsumenten täglich im Internet, vor allem über das Handy, produzieren, sind das Wertvollste, das wir haben – und was machen wir damit? Die meisten dieser Daten verschenken wir, ohne es zu wissen – auch ohne zu wissen, dass wir hier viel verschenken. Den Internet- Riesen ist das noch immer zu wenig. Also handelt "The Circle" von einem Facebook-Google-Amazon-artigen Unternehmen, wo den Mitarbeitern eingebläut wird: "Geheimnisse sind Lügen", und "Transparenz bringt Weltfrieden".

Unser Verhalten wird schon jetzt ständig über unsere Smartphones beobachtet, wo wir uns bewegen, wo wir surfen, was wir kaufen. Noch relativ harmlos sind die Experimente, die viele Websites bereits mit uns machen. Stefan Thomke, Professor an der Harvard Business School, weiß, dass Websites wie Booking oder Amazon ständig verändert werden. Und dann wird getestet, wie die Konsumenten auf die Veränderungen reagieren. Also werden wir im Internet ständig als Versuchskaninchen missbraucht? "Das ist eine sehr europäische Sicht der Dinge ", sagt der Schwabe Thomke, der beide Welten kennt. Vor allem, argumentiert Thomke, würden Unternehmen nur durch stetes Experimentieren weiterkommen, auch zum Vorteil der Konsumenten. Über einen zentralen Zugriff auf alle eMails einer Region ließen sich etwa Grippewellen vorhersagen oder Verkehrsströme steuern.

Aber es geht längst schon nicht mehr nur um unser Verhalten als Individuen, sondern um uns als menschlicher Algorithmus. Wir benehmen uns vorhersehbar für jemanden, der unsere Daten kennt. So wird letztlich sogar jedermanns Charakter identifizierbar. Das wäre perfekt für Banken, die Geld verleihen, oder Versicherungen, die das Risiko einschätzen müssen. Digitale Finanzdienstleister werden profitieren, aber nicht nur sie.

Die nächste Stufe ist dann die künstliche Intelligenz, also Computer, die so intelligent wie wir untereinander kommunizieren können. Und dann kommt der ultimative Traum – eine deutliche Verlängerung des Lebens bis hin zur Unendlichkeit. In diesbezügliche Forschungen werden Milliarden investiert und man fragt sich, warum den Führern des Silicon Valley die Verbesserung des Lebens nicht reicht? Weil die Ideologie hier heißt, dass großen Erfolg nur hat, wer sich höchste, vielleicht sogar unmögliche Ziele setzt.

Wo bleiben da Ethik und Moral? Es gibt hier auch Spitzenforscher wie Fritz Prinz, den seine Waldviertler Herkunft am Boden hält. Der Physiker, der selbst auch schon Start-ups gegründet hat, sieht, dass digitale Firmen oft im rechtsfreien Raum entstehen.

Regulierung wird notwendig sein

Freilich seien die Amerikaner grundsätzlich skeptisch gegenüber dem Staat. Eine Form der Regulierung – ein Schimpfwort im Silicon Valley – wird notwendig sein, letztlich wird eine Kontrolle nur weltweit funktionieren. Digitalisierung und Nationalstaat sind ein Widerspruch.

In der amerikanischen Gesellschaft, und erst recht in diesen Internetunternehmen, die die Welt erobern wollen, findet man noch etwas vom ursprünglichen Pioniergeist, der nicht Grenzen sucht, sondern unbekannte Territorien. Europäer fühlen sich in ihren Grenzen wohl und suchen Schutz. Angst ist in dieser sich noch immer beschleunigenden Entwicklung der schlechteste Ratgeber. Wer sich gegen die ausschließlich global denkenden und handelnden Silicon-Riesen behaupteten oder gar durchsetzen will, muss sich grundsätzlich mit ihnen auseinandersetzen. Wir müssen auch verstehen, dass die schöne neue Datenwelt mit all ihren Vorzügen die Menschheit teilen könnte, in die wenigen, die das System dahinter verstehen und aktiv beeinflussen können, und die vielen, die nur billiges Datenmaterial sind. Kann man diese Entwicklung verhindern? Das müssen wir jedenfalls versuchen, indem wir eine bewusste Gesellschaft organisieren. Ideen und Vorschläge sind willkommen, auch aus der Politik. Einmauern, abgrenzen oder Augen zumachen wird nicht reichen.

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