Kein ganz ruhiger Kanzler-Sommer

epa03231059 German Chancellor Angela Merkel (R) and Economy Minister Philipp Roesler arrive for a cabinet meeting at the Federal Chancellery in Berlin, Germany, 23 May 2012. The cabinet will discuss the Federal Government Report on Research and Innovation as well as the law on reducing the 'cold progression', amongst other topics. EPA/Michael Kappeler
Angela Merkel und ihre Koalition trotzen der NSA-Affäre und zittern sich zur Wiederwahl.

Für Kanzlerin Angela Merkel beginnt der Sommer-Urlaub wie immer mit der ersten Premiere der Bayreuther Festspiele heute, Donnerstag. Heuer wird er allerdings kürzer und hektischer als sonst: Acht Wochen vor der Wahl geht der Wahlkampf weiter, wenn auch etwas gebremst. Doch diese Polit-Oper regt die in Urlaubsstimmung befindlichen Deutschen kaum auf: Die Mehrheit erwartet davon keine entscheidende Änderung in Berlin.

Laut der aktuellsten Umfrage von Forsa für stern/RTL liegt Merkels Koalition mit der FDP bei der „Sonntagsfrage“ über der Regierungsmehrheit von 46 Prozent, zum sechsten Mal in Folge. Rot-Grün hingegen sinkt überraschend wieder um drei Prozentpunkte zugunsten von „Linken“ und Piraten auf den niedrigsten Wert seit Oktober 2012.

Auch die Kanzler-Präferenz ist stabil: 57 Prozent der Deutschen wollen Merkel, nur 21 Prozent SPD-Herausforderer Peer Steinbrück. Andere Umfragen sind nicht ganz so eindeutig, wohl aber ihr Trend. Dessen Stabilität im Wahlkampf auch in den letzten Tagen kommt sogar für Polit-Profis doch etwas unerwartet.

Schließlich gelang der rot-grünen Opposition nach ihrem ersten Pannen-Halbjahr ein viel stärkeres Angriffs-Feuerwerk als bis dahin: Zuerst die Attacken auf Verteidigungsminister Thomas de Maizière, den engen Vertrauten der Kanzlerin, wegen dessen spät abgebrochenem Rüstungsprojekt der Drohne „Euro Hawk“ und dem Vorwurf schwerer Steuergeldverschwendung.

Und danach die noch heftigeren Angriffe wegen vermuteter Mitwisser- und Mittäterschaft deutscher Geheimdienste an der angeblichen Total-Überwachung der Deutschen mittels des US-Internet-Lauschprogramms PRISM. Edward Snowdens Enthüllungen brachten der Opposition die unverhoffte Chance, fast direkt auf Merkel zu zielen: Ihr Kanzleramtschef Ronald Pofalla ist Oberaufseher über die deutschen Geheimdienste. Laut SPD sei er dabei entweder fahrlässig oder seiner Chefin gegenüber zu verschwiegen. Oder sie wüsste alles und täte nichts.

„NSA-Affäre perlt ab“

Allein, die Schüsse scheinen nach hinten los zu gehen. „Die NSA-Affäre perlt an Merkel ab“, titelt der stern und zitiert Forsa-Chef Manfred Güllner: „Auch wenn Merkel in dieser Sache nicht unbedingt geglaubt wird, so halten viele Menschen die persönlichen Attacken auf sie für überzogen, etwa wenn SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück ihr vorwirft, sie habe damit ihren Amtseid gebrochen.“

Generell, so Güllner, habe das Parteiengezänk dazu geführt, dass die Politikverdrossenheit gestiegen sei. Das nütze vor allem den Piraten, die nach langem wieder bei vier Prozent liegen.

Auch die anderen Meinungsforscher sehen keine Wechselstimmung. Zu gut sind die Wirtschaftszahlen, zu konstant das Vertrauen der Wähler in die Euro-Krisenkompetenz der Kanzlerin: Es müssten noch extrem negative News für de Maizière und Pofalla kommen, um Merkels wichtigstes Gut, ihre hohe Glaubwürdigkeit, empfindlich zu beschädigen.

Ansonsten hätte die Opposition auch dieses Pulver verschossen. Mit dem ließen sich nicht einmal die wahlmüden Ex-SPD-Anhänger zu den Urnen locken, spottete der oppositionsfreundliche Spiegel resignierend, „die PRISM gar nicht richtig aussprechen können“.

Auch ein anderer Seismograf für die Bundestagswahl scheint für Merkel auszuschlagen: In der Landtagswahl in Bayern eine Woche zuvor kratzt die Schwesterpartei CSU laut Umfragen an der absoluten Mehrheit. Dank ihres populistischen Parteichefs Horst Seehofer, der die Oppositions-Agenda noch mehr plünderte als Merkel das tat, und einem ebenfalls schwachen Herausforderer. Ein CSU-Sieg in Bayern sieben Tage zuvor wäre ein starkes Signal für den Bund.

„Ganz, ganz knapp“

„Wenn, dann ganz knapp“, ist trotzdem die Parole in der CDU-Zentrale für den Sieg am 22. September. Von Parteichefin Merkel abwärts warnen alle Granden die Funktionäre vor Siegesgewissheit – auch, um sie zu motivieren: 30 Prozent der Wähler sind unentschlossen. Denen gilt auch der Streit mit dem Koalitionspartner FDP um die Verlängerung der „Solidarabgabe“, der Sondersteuer für die Wiedervereinigung, die laut FDP 2018 auslaufen soll. Die Taktik, im Wahlkampf getrennt zu marschieren, um ein breiteres Wählerspektrum anzusprechen, und danach gemeinsam zu regieren, hat 2009 geklappt. Auf jeden Fall hilft das Steuerthema der FDP über die Fünf-Prozent-Hürde.

Auch wenn die heimliche Hoffnung der Kanzlerin nicht die Fortsetzung dieser Koalition mit ihr ist, sondern wieder die große mit einer möglichst gedemütigten SPD: Nur so kann sie mit deren großer Mehrheit im Bundesrat halbwegs konstruktiv weiterregieren. Bayreuth wird wohl noch öfter von der Kanzlerin beehrt werden können.

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