Karel Schwarzenberg über die Wende in Prag
Karel Schwarzenberg hat geweint", titelten tschechische Medien – beim Gedenken an den Beginn der "Samtenen Revolution" am 17. November vor 25 Jahren. Der ehemalige tschechische Außenminister, dessen Leben durch die politische Wende in der Tschechoslowakei verändert worden war, wurde von den Gefühlen überwältigt. "Ich habe nicht richtig geweint, aber ich war sehr bewegt", sagt Schwarzenberg im KURIER-Gespräch. "Erstens, weil so viele Freunde aus der Zeit schon gegangen sind. Und zweitens über das, was aus der Revolution geworden ist."
Was ist gelungen, was weniger? "Die Wirtschaft läuft gut, wir haben fleißig gearbeitet. Wenn ich denke, wie viel gekauft wurde und trotzdem noch so viel Wohlstand im Lande geblieben ist – das ist das wahre tschechische Wirtschaftswunder. Die politische Situation ist aber schlecht, ich gebe zu, die politischen Parteien haben versagt", konstatiert Schwarzenberg. "Die Enttäuschung ist groß, der Populismus wächst. Ich glaube, so eine Wende braucht drei Generationen." In seiner Antwort ist auch Selbstkritik zu hören, der Aristokrat ist seit Jahren ein Teil der tschechische Innenpolitik, als Präsidenten-Kanzler, als Senator, Außenminister, Parteichef, Abgeordneter.
Dabei hat alles vor 25 Jahren so hoffnungsvoll begonnen. "Ja, am Tag der Angelobung des neuen Präsidenten Vaclav Havel am 29. Dezember wurde ich zum Mittagsessen auf die Prager Burg eingeladen. Die Küche war miserabel. Eingeladen waren auch andere Freunde Havels. Jedem von ihnen hat der Dichter-Präsident eine Aufgabe in seinem Mitarbeiterstab zugeteilt. Ich sollte Kanzler des Präsidialamtes werden. Bevor ich mich von der Überraschung erholt hatte, war ich schon ein Beamter."
Kein Fax, Kopierer, Computer
Karel Schwarzenberg, der bis zu diesem Zeitpunkt seinen Beruf mit Forst- und Gastwirt angegeben hatte, wurde über Nacht der oberste Beamte im Rang eines Staatssekretärs. "Das Team des Präsidenten war ein bunt gemischter Haufen mit verschiedenen Berufen: Ein Drehbuchautor, ein Psychologe, ein Heizer, ein Übersetzer, ein Geograf – keiner von uns wusste, wie man amtiert. Die meisten konnten sich auch an Sakko und Krawatte nicht gewöhnen", erinnert sich Schwarzenberg. Das größte Problem sei aber gewesen, dass unter Havels Vorgänger Gustav Husak im Präsidentenamt gar keine Entscheidungen getroffen worden waren. "Alle Entscheidungen traf das Zentralkomitee der KP. Zudem haben wir in den Büros nur mechanische Schreibmaschinen vorgefunden. Kein Fax, kein Kopierer, kein Computer. Ich bin sofort zum Büromaschinenhändler nach Wien und Nürnberg gefahren und habe die Maschinen geordert."
Mit Roller zu Havel
Zu Schwarzenbergs Aufgaben gehörte auch die Verwaltung der Burg (nach dem Vatikan die zweitgrößte Residenz) samt Burgwache, eigener Feuerwehr und Gärtnerei – mit insgesamt 450 Mitarbeitern. "Ja, da konnte ich viel gestalten und verändern. Es war die glücklichste Zeit meines Lebens."
1993 kam die Teilung der Tschechoslowakei. "Präsident Vaclav Havel trat zurück – und ich mit ihm. Es darf nicht vergessen werden, dass zu diesem Zeitpunkt in beiden Landesteilen höchstens je 25 Prozent der Menschen für eine Eigenständigkeit gewesen waren. Ich habe von Anfang an gesagt, als Einziger, man möge sich mehr der Slowakei widmen. Havels erste Reise ging aber nach Deutschland, nicht in die Slowakei, das war ein großer Fehler."
Die Zerschlagung der Tschechoslowakei wurde auch von außen betrieben? "Ja, aus München. Die bayerische Staatskanzlei hat die nationalen, christdemokratischen Kräfte in der Slowakei unterstützt. Für manche Kreise in Bayern war die Gründung der Tschechoslowakei nach 1918 eine scheußliche Erfindung. Stichwort Beneš und die Vertreibung der Sudetendeutschen. In Bayern und auch teilweise in Österreich sind nach der Trennung Jubel-Artikel erschienen."
Ist Anti-Slawismus auch ein Grund, warum die tschechischen Atomkraftwerke die Österreicher stören und das viel ältere AKW im ungarischen Paks nicht? "Die ganze Zeit über – 1918 genau so wie 1945 – waren und sind die Tschechen in Österreich weniger populär als die Juden. In Wien, Niederösterreich oder Oberösterreich hat jeder Zweite eine tschechische Cousine, Tante oder Großmutter gehabt. Im 19. Jahrhundert lebten 300.000 Tschechen in Wien. Wien, Prag, Chicago – das waren die größten tschechischen Städte. In Wien waren die Tschechen Ziegelarbeiter, Dienstmädchen und Ammen. Das hat das Image der Böhmen und Mährer geprägt. Jeder hat sich geniert, dass er einen tschechischen Großvater oder eine tschechische Großmutter hat. Wogegen der Ungar ein Graf war, das hat ihnen imponiert."
"Bleibe Parteichef"
Schwarzenberg sieht aber noch einen anderen Grund, warum die Österreicher die Tschechen nicht sonderlich mögen: "Wir sind uns so ähnlich, wir haben die gleichen schlechten Eigenschaften. In Folge dessen sind die Ostösterreicher und die Tschechen ein Volk mit zwei Sprachen. In einer Familie geht der Verwandte viel mehr auf die Nerven als ein Fremder, wie ein Ungar. Deshalb ist es auch ein Teil des Selbsthasses. In Tirol und Vorarlberg hat man viel weniger Vorurteile."
Auf die Frage, ob er nochmals zur Präsidentenwahl antreten würde, antwortet er in seiner Muttersprache Deutsch: "Nein, bleibe Parteichef!" An Pension denkt der 77-Jährige jedenfalls nicht: "Es würde mir zu fad."
Zwischen Prag und Wien: Bewegte Vita
Hochadel Die Dynastie der Schwarzenbergs ließ sich im 17. Jahrhundert in Böhmen nieder. Karels Vater war im Gegensatz zu anderen böhmischen Adeligen tschechischer Patriot. Die Familie verließ daher erst nach der Machtergreifung der Kommunisten, 1948, die Tschechoslowakei.
Exil und Rückkehr Obwohl aus familienrechtlichen Gründen Schweizer Staatsbürger lebte Karel meistens in Wien, von dort aus unterstützte er frühzeitig den Widerstand gegen das kommunistische Regime in Prag.
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