An diesem Tag ist Vàclav Havel Präsident der ČSSR geworden. Mein Land wurde frei, und ich brauchte kein Drei-Tage-Visum mehr, um in meine Heimat einreisen zu können. Havel betraute mich mit der Aufgabe, seine Kanzlei als Kanzler zu leiten. Über Nacht wurde ich Beamter. Für Havel zu arbeiten war ein Traum, die schönste Zeit meines Lebens. Die Prager Burg war in einem erbärmlichen Zustand. Ich musste zuerst einmal in Wien Büromaschinen besorgen.
Bedauern Sie, dass nicht Sie heute als Präsident in der Prager Burg sitzen?
Verloren ist verloren. So kann ich wenigstens frei leben und ins Wirtshaus oder in die Bar gehen, mit wem und wann ich will. Aber wie es jetzt in Prag zugeht, das betrübt mich sehr.
30 Jahre nach der Wende regiert dort eine von den Kommunisten geduldete Minderheitsregierung.
Wir haben uns Kleptokraten unterworfen. In Tschechien herrscht – eleganter ausgedrückt – eine Art Oligarchen-Demokratie. Meine tiefste Verbeugung vor der Slowakei, wo sich eine Zivilgesellschaft herausgebildet hat, die weit aktiver ist als jene in Tschechien.
Sie bezeichnen Tschechiens Präsident Miloš Zeman und Premier Andrej Babiš als Zerstörer des Landes: Der eine hält sich nicht an die Verfassung, der andere steht im Verdacht, in der KP-Ära Agent gewesen zu sein und sich EU-Gelder erschlichen zu haben.
Haben Sie irgendwelche Gründe, mir zu widersprechen?
Für 16. November plant die Opposition Demonstrationen in Prag. Werden Sie daran teilnehmen?
So Gott es will, ja. Wenn ich es gesundheitlich schaffe.
Die Korruption grassiert nicht nur im Osten. Wie bewerten Sie die jüngsten Vorgänge in Österreich?
Aus Prager Perspektive sind das Kleinigkeiten. Die Habgier ist dieselbe, nur funktionieren in Österreich die Institutionen besser. Ich stehe den meisten Politiker-Kollegen mittlerweile skeptisch gegenüber. Kürzlich habe ich im Fernsehen aber Beate Meinl-Reisinger gesehen. Sie wirkte kompetent und glaubwürdig. Vielleicht könnte sich da etwas Positives entwickeln. Sebastian Kurz ist ohne Zweifel ein großes politisches Talent. Dass die FPÖ nach allen Skandalen kaum an Popularität einbüßt, nehme ich mit Interesse zur Kenntnis.
Kann Sebastian Kurz wieder mit der FPÖ koalieren?
Wer soll ihn daran hindern? Die Moral? Wir reden hier über Politik (er lacht), nicht über die Kirche.
Wie sehen Sie heute die EU-Erweiterung?
Die Balkanländer hätten längst aufgenommen werden sollen. Für Europa wäre das wirtschaftlich durchaus verkraftbar. Es ist schon eine merkwürdige Leistung, sich ein Pulverfass unter dem eigenen Hintern zu halten. Man kann in den reichen Ländern nicht ruhig leben, wenn wenige Autostunden entfernt 45 Prozent der Menschen arbeitslos sind. Das ist ein maßloser Egoismus, der mir wirklich auf die Nerven geht.
Wie soll der Westen mit Russland umgehen? Stehen wir am Beginn eines neuen Kalten Kriegs?
Wir sind schon mittendrin – aber was soll’s? Die Russen wissen nicht, wo ihre Grenzen sind. Das hat schon Vàclav Havel gesagt. Ich habe nichts gegen die Russen, aber gegen einen Herrscher, der sein Volk unterdrückt.
Laut Umfragen stagniert Ihre Partei TOP09 bei fünf Prozent.
Wir werden nicht untergehen, weil wir die einzige klar proeuropäische Kraft in Böhmen sind. Zurzeit gefällt den Leuten aber die Tschechische Piratenpartei besser, obwohl die kein Programm hat.
von Jana Patsch
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