Kampfansage gegen die Politik des Sparens

Tagesthema in Europa: Mit der radikalen Sparpolitik, die ganze Länder verarmen lässt, soll Schluss sein.

6.200.000 Arbeitslose, nein zur Sparpolitik“ und „Mehr Demokratie, weniger Sparpolitik“ stand auf den Spruchbändern zu lesen, die spanische Demonstranten gestern am Tag der Arbeit durch die Straßen der Städte trugen. Zehntausende Menschen hatten sich den traditionellen Aufmärschen zum 1. Mai angeschlossen – mehr als in den Jahren zuvor. Die Wut über die sich ständig weiter verschlechternde Wirtschaftslage hatte viele dazu angehalten, heuer mitzumarschieren.

Vor allem aber einte sie die Empörung über den radikalen Sparkurs ihrer Regierung. Der verhinderte wohl den weiteren Anstieg der Staatsschulden, schuf aber ein Millionenheer an Arbeitslosen. Mehr als ein Viertel der Spanier sind bereits ohne Arbeit, bei den Jungen sind es schon über 50 Prozent. Die Gewerkschaften sprechen bereits von einem „nationalen Notstand“.

Ähnlich das Bild in allen anderen, schwer von der Krise getroffenen Ländern Südeuropas. Von Portugal über Spanien, von Frankreich bis Italien und Griechenland zogen sich die Massenproteste gegen die staatlich verordneten Sparprogramme. Auch Frankreich hatte im März eine Rekordarbeitslosenzahl von mehr als 3,2 Millionen verzeichnet – während die von Präsident Hollande versprochene „Schlacht gegen die Arbeitslosigkeit“ nicht vom Fleck kommt.

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GREECE MAY DAY
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Presidential guards are framed through a burned EU
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A poster depicting German Chancellor Angela Merkel
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GREECE MAY DAY
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SPAIN MAY DAY
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UGT leader Mendez and Fernandez Toxo, leader of CC
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FRANCE MAY DAY NATIONAL FRONT
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People follow the speech of Michael Sommer, head o
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Michael Sommer, head of Germany's labour union ass

Aufbauprogramm

Mehr als 400.000 Menschen nahmen an den Mai-Protesten sogar in Deutschland teil, das von der Krise bisher kaum gestreift wurde. Die „angebliche Eurorettung durch Kaputtsparen“ war auch Generalthema der deutschen Gewerkschaften. Der Vorsitzende der größten Einzelgewerkschaft IG Metall, Berthold Huber, forderte in Stuttgart ein Aufbauprogramm für Europa: „Wir brauchen ein Investitionsprogramm für Europa, um die öffentliche Infrastruktur zu erhalten und zu modernisieren und Investitionen in Arbeit, Umwelt, Gesundheit und Bildung zu ermöglichen.“ In Richtung der europäischen Regierungen und der EU-Kommission rief er: „Packt die neoliberale Abrissbirne ein.“

Bestreiktes Athen

Ungewöhnlich ruhig verliefen die Demonstrationen zunächst in Athen. Nur rund 5000 Menschen waren gekommen – wohl auch, weil die Gewerkschaften abermals zum Streik aufgerufen hatten. Erneut kam Griechenland gestern fast zum Stillstand. Fähren und Züge verkehrten nicht, in den Krankenhäusern behandelten Ärzte nur noch Notfälle. Die jüngsten Proteste richteten sich gegen die vor wenigen Tagen von der Regierung abgesegnete Maßnahme, bis Ende des Jahres 2014 rund 15.000 Beamte zu entlassen. Auch in Griechenland liegt die Arbeitslosigkeit bereits über 26 Prozent – und sie wird laut Prognosen noch weiter steigen.

Zu Zusammenstößen bei den Mai-Protesten kam es gestern nur in Istanbul. Die Polizei setzte mit Wasserwerfern und Tränengas ein Demonstrationsverbot für den zentralen Taksim-Platz durch. Dabei wurden mindestens 16 Menschen verletzt, 20 Protestierer in Gewahrsam genommen. Das Verbot wurde mit Sicherheitsbedenken begründet, weil der Platz seit Monaten eine Großbaustelle ist.

Vor drei Jahren war den Gewerkschaften erstmals wieder ihr Marsch zum Taksim-Platz erlaubt worden, nachdem es dort 1977 zu schweren Zusammenstößen gekommen war.

Es waren drastische Worte, die EU-Sozialkommissar László Andor am Dienstag aussprach: „Europa muss alles daransetzen, eine verlorene Generation zu verhindern.“ Trauriger Anlass für Andors Appell waren die neuen Arbeitslosenzahlen in Europa. Hier wandert die EU von Rekord zu Rekord, die Arbeitslosigkeit in der Eurozone ist am Höchststand: Im März waren 19,2 Millionen Menschen ohne Job.

Die größten Verlierer der Krise sind die Jungen: In der Eurozone ist beinahe jeder Vierte unter 25 Jahren ohne Arbeit. Spitzenreiter: Griechenland und Spanien, bei denen sogar jeder Zweite betroffen ist. Dabei ist relativ egal, ob es um Hochschulabsolventen oder Ungelernte geht. Der übliche Weg von Schule und Ausbildung, Arbeit und wohlverdienter Pension hat für sie ausgedient. Wie sie ihren Lebensabend finanzieren werden, steht heute in den Sternen.

Wie es weitergehen soll, das weiß auch Arianna nicht: Die 20-Jährige, die in der Nähe von Padua lebt, ist skeptisch. „Ich lebe zu Hause bei meinen Eltern und verdiene nebenher mit Babysitten oder Nachhilfe etwas dazu.“ Eigentlich wollte sie Krankenschwester werden, aber die Ausbildung um 2500 Euro im Jahr ist für Arianna im Moment eine Utopie. Einstweilen besucht sie Kurse beim Roten Kreuz, um wenigstens etwas vorweisen zu können. Das geht nun schon seit sieben Monaten so.

Wenig Selbstvertrauen

Arbeitslos zu sein, das bedeutet nicht nur, morgens nicht in ein Büro zu fahren. Es bedeutet, aus Geldmangel soziale Kontakte einzuschränken. Das Selbstwertgefühl und das Vertrauen in die Zukunft sinken. Die Perspektiven werden rar, die Existenzangst steigt. Der Anschluss könnte verpasst werden.

Laut Internationaler Arbeitsorganisation ILO suchen weltweit 75 Millionen Menschen unter 25 Jahre nach Beschäftigung. Die sogenannten NEETs (not in employment, education or training – also weder in Beschäftigung, Ausbildung oder Training) bilden eine Armada an Menschen, die nicht in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden.

Befristete Jobs

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In Europa hat die Krise auch arbeitsrechtliche Gründe: Junge Menschen zu entlassen, ist leichter, als Ältere, die schützende Verträge haben. Diejenigen, die doch eine Stelle ergattern, bekommen kaum feste Jobs. „Meine Freunde wohnen alle zu Hause, manche haben zwar Arbeit, aber alle sind sie befristet oder Gelegenheitsjobs – jedenfalls unter ihrer Qualifikation“, sagt Arianna, die vor einem Jahr maturiert hat.

Befristete Beschäftigung und Vertretungen sind in Krisenländern für manche schon ein Glücksfall. Die Schwarzarbeit boomt – und federt dabei die sozialen Auswirkungen etwas ab. Makler und Anwälte als Kellner und Taxifahrer – ein Krisensymptom, so wie das „Hotel Mama“.

Ein europäisches Bekenntnis, die Jugendarbeitslosigkeit anzugehen, gibt es. Im Februar wurde auf gesamteuropäischer Ebene eine Jobgarantie für Jugendliche vereinbart: Mitgliedsstaaten sollen allen EU-Bürgern unter 25 garantieren, dass sie spätestens vier Monate nach Ende der Ausbildung oder nach Jobverlust ein neues Angebot bekommen. Ob Arianna auch davon profitieren kann, wird sich erst herausstellen. Sie ist wenig optimistisch. „Auch meine Eltern sind im vergangenen Jahr arbeitslos geworden. Sie müssen mich und meine kleine Schwester ernähren.“ Wovon sie leben? „Von den Ersparnissen.“

Die Arbeitslosigkeit ist in der Europäischen Union auf Rekordniveau. Das EU-Statistikamt (Eurostat) hat dieser Tage die neuesten Zahlen für die 27 Mitgliedsländer und die 17 Euro-Staaten veröffentlicht. Demnach sind in der EU rund 26,5 Millionen Menschen ohne Job, davon 19,2 Millionen in der Euro-Zone. Das sind in der EU um 1,8 Millionen Arbeitslose mehr als im März 2012.

Die höchsten Zuwächse gab es in Griechenland (zwischen Jänner 2012 und Jänner 2013 von 21,5 auf 27,2 Prozent) – und gegenüber März 2012 in Zypern (von 10,7 auf 14,2 Prozent), Spanien (von 24,1 auf 26,7 Prozent) und Portugal (von 15,1 auf 17,5 Prozent).

Wer glaubt, dass sich die triste Situation allmählich ändert, irrt. Solange die Konjunkturprognosen reichen, und das ist bis 2014, „gibt es sicher keine Entspannung“, sagt Stefan Schiman,Experte für europäische Wirtschaftspolitik am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO).

Investitionen

Als Ursache nennt er die „systematische Sparpolitik“ in der EU und der Euro-Zone, die die Schuldenstände und die jährliche Neuverschuldung drosseln soll. Schiman: „Diese Sparpolitik hat zu stärkeren Wachstumseinbrüchen geführt als erwartet.“ Abhilfe könne geschaffen werden, indem etwa die Europäische Investitionsbank mehr Kredite für Infrastrukturinvestitionen vergibt.

Was die Arbeitslosenzahlen betrifft, steht Österreich im EU-Vergleich sehr gut da. Nach EU-Berechnungen sind 4,7 Prozent ohne Job. Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit hat Österreich im Vergleich zu Spanien und Griechenland vergleichsweise geringe Probleme. Dennoch darf das Thema Arbeitslosigkeit auch hierzulande nicht vernachlässigt werden.

„Sie ist schon sehr, sehr hoch. Seit der Krise im Jahr 2009 geht sie fast nicht zurück“, sagt WIFO-Arbeitsmarkt-Forscher Helmut Mahringer, der wie Schiman bis 2014 keine Besserung sieht. Im Jahresdurchschnitt sind derzeit 350.000 ohne Job, im Krisenjahr 2009 waren es 260.000. Problemgruppen seien vor allem Jugendliche, Personen mit geringer Ausbildung und über 55-Jährige, sofern sie ihre Jobs verlieren.

Wohlstandsgefälle

Die unterschiedlich hohen Arbeitslosenraten in der EU, die sich in den vergangenen Jahren sehr auseinanderentwickelt haben, hält Mahringer für „ein riesiges Problem“, hatte die EU doch stets das Ziel, das Wohlstandsgefälle auszugleichen. Abhilfe könnten Ausgleichszahlungen schaffen, sodass Länder mit hoher Arbeitslosigkeit aus der EU mehr finanzielle Unterstützung bekommen.

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