Kämpferin gegen die Barbarei

Ensaf Haidar, Ehefrau des verurteilten saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi, kämpft unermüdlich für seine Freilassung.
Ensaf Haidars größtes Ziel: Ihren Mann, den verurteilten Blogger Raif Badawi, befreien.

Die letzten Stunden vor den Freitagen sind für Ensaf Haidar immer die schlimmsten. An einem Freitag im Jänner war ihr Mann, der saudische Blogger Raif Badawi, öffentlich mit 50 Hieben ausgepeitscht worden. Weitere 950 Peitschenschläge müsste der 31-Jährige laut Gerichtsurteil noch erhalten. Zu vollziehen jeweils an einem Freitag, jeweils 50 Stück.Eine körperliche Züchtigung, die man nicht überleben kann.

Wie schwer verletzt ihr Mann diese erste Tortur überlebte, wie sehr ihn seine endlos scheinende Haft quält – all dass weiß Ensaf Haidar nicht vom Vater ihrer drei kleinen Kinder. Ein- bis zwei Mal pro Woche dürfen sie ein paar Minuten lang telefonieren. "Aber Raif sagt nie, dass es ihm schlecht geht", erzählt die nun im kanadischen Exil lebende gebürtige Saudi-Araberin. "Doch ich kann es an seiner Stimme hören."

Und immer die Angst. "Ich fürchte nach wie vor jeden Freitag, dass die Auspeitschungen weiter gehen könnten", sagt Haidar.

Kämpferin gegen die Barbarei
ABD0047_20150626 - WIEN - ÖSTERREICH: Mahnwache der Grünen für den saudi-arabischen Blogger Raif Badawi und Waleed Abulkhair am Freitag, 26. Juni 2015, vor dem Abdullah-Zentrum in Wien (KAICIID). - FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
Winzig klein und schmal wirkt sie, als sie Montag Abend in Wien auf Einladung der Grünen ihr soeben erschienenes Buch "Freiheit für Raif Badawi, die Liebe meines Lebens" präsentiert. Doch eingeschüchtert ist Ensaf Haidar nicht.

Den schwarzen Ganzkörperschleier, wie er in Saudi-Arabien Pflicht ist, hat sie längst abgelegt. Ihre Haare hat sie zu Rasta-Zöpfen flechten lassen. Die Bluse trägt sie ärmelfrei – ihre ganze aparte Erscheinung ist eine Kampfansage an das rigide System in Saudi-Arabien. An eine klerikal-konservative Herrschaftsschicht, die ihren freidenkerischen Mann zu zehn Jahren Gefängnis und 1000 Peitschenhieben verurteilt hat. Überlebt er, hat Badawi weitere zehn Jahre Reise- und Schreibverbot.

Flucht vor der Fatwa

Seit genau vier Jahren, erzählt Ensaf Haidar dem KURIER, "habe ich meinen Mann nicht mehr gesehen." Damals floh die junge Mutter mit ihren drei Kindern in den Libanon, nachdem eine Fatwa dass Leben der ganzen Familie gefährdet hatte. Raif durfte da schon nicht mehr ausreisen.

Seit mittlerweile drei Jahren sitzt Badawi in Haft. Zuvor war der junge Blogger bereits mehrmals wegen seiner Website "Freie saudische Liberale" ins Visier des saudischen Sicherheitsdienstes geraten. Was er forderte – und damit die saudische Herrschaftsschicht zur Weißglut brachte: Frauen im Land nicht länger wie Bürger zweiter Klasse behandeln. Denk- und Meinungsfreiheit. Individuelle Freiheit für die Bürger Saudi-Arabiens. Und, was Badawi die Freiheit kosten sollte: religiöse Toleranz.

"Der liberale Staat ist ein Staat ohne Religion", hatte der Blogger geschrieben, "Was nicht heißt, dass er atheistisch ist. Sondern, dass er die Rechte aller Religionen bewahrt, sie fördert und unterstützt, ohne Diskriminierung oder Bevorzugung einer Religion gegenüber einer anderen." Das war zu viel für den saudischen Staat, in dem "Abfall vom Islam" mit dem Tod bestraft wird.

Treibende Kraft

Dass man Badawi heute weltweit kennt, dass für ihn demonstriert wird und der politische Druck auf das saudische Königshaus für Badawis Freilassung enorm gestiegen ist, hat vor allem einen Namen: Ensaf Haidar. Sie ist die wichtigste Kraft hinter der weltweiten Kampagne für den Blogger. Unermüdlich tourt Haidar durch die Welt, gibt geduldig Interviews. Immer in der Hoffnung, dass die größtmögliche mediale Aufmerksamkeit für ihren Mann der beste Schutz ist für ihn. "Und ohne diese ganze Öffentlichkeitskampagne", gibt sie offen zu, "wäre Raifs Gesicht nicht so bekannt geworden."

Gegen den massiven Widerstand ihrer Familie hatte die junge Ensaf einst aus Liebe Raif geheiratet. Und was zunächst mit einer traditionellen Rolle als saudische Ehefrau begann, nämlich als völlig ihrem Mann unterworfene Hausfrau, wandelte sich ab dem Moment, als Raif Badawi ins Visier der Religionspolizei geriet. Die bis dahin stille Gattin fand ihre Stimme, begann selbst zu schreiben.

Ob sie bedaure, dass ihr Mann mit seinem Blog den Unmut der Religionspolizei und überhaupt die ganze Schwierigkeiten auf sich gezogen habe, wird sie gefragt. Ensaf Haidar lächelt und antwortet besonnen: "Ich bin überzeugt von Raifs Sache. Ich bin stolz auf ihn. Ich würde die Vergangenheit nicht ändern. Ich würde mir nur wünschen, dass die Leute sich ändern."

BUCHTIPP:Freiheit für Raif Badawi, die Liebe meines Lebens. Bastei Lübbe, 20,80 Euro

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