"Dürfen Putin nicht erlauben, unser Weihnachten zu stehlen"

Aus einer Zeit, als die Welt für die Ukraine noch in Ordnung war: Beleuchteter Weihnachtsbaum im Zentrum Kiews, aufgenommen 2020.
Präsident Selenskij stellt die Bevölkerung auf einen harten, kalten Winter ein. Er rechnet mit vermehrten Angriffen auf Kraftwerke.

Tag 278 des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine:

Die Kiewer Stadtverwaltung hat ihren Bürgerinnen und Bürgern die Aufstellung von Weihnachtsbäumen versprochen - ungeachtet der anhaltenden russischen Raketenangriffe und der andauernden Stromausfälle. „Wir dürfen (Kremlchef Wladimir) Putin nicht erlauben, unser Weihnachten zu stehlen“, sagte Bürgermeister Vitali Klitschko in einem am Montag bei der ukrainischen Nachrichtenagentur RBC erschienenen Interview.

Zwar werde auf Weihnachtsmärkte und Ähnliches in Kriegszeiten verzichtet, doch wenigstens festlich geschmückte Tannenbäume sollen die Kiewer bekommen. Bezahlt würden diese von Unternehmern, sagte Klitschko.

Mit der Festbeleuchtung könnte es allerdings Probleme geben. Aufgrund zahlreicher Schäden im Energiesektor könne es bis zum Frühjahr noch zu Stromausfällen in Kiew kommen. Die angeblich zu langsamen Reparaturarbeiten zur Wiederherstellung der Strom- und Wasserversorgung in der ukrainischen Hauptstadt sorgten jüngst für Streit zwischen Präsident Wolodymyr Selenskij und Klitschko.

Täglicher Artilleriebeschuss von Cherson

Nach dem Rückzug aus Cherson beschießen russische Truppen die südukrainische Großstadt nach britischen Angaben täglich mit Artillerie. Am Sonntag sei die Rekordzahl von 54 Angriffen gemeldet worden, teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. Allein am vergangenen Donnerstag seien zehn Menschen getötet worden.

"Die Stadt ist verwundbar, weil sie in Reichweite der meisten russischen Artilleriesysteme liegt, die nun vom Ostufer des Flusses Dnipro aus von der Rückseite neu konsolidierter Verteidigungslinien feuern", hieß es in London. Die meisten Schäden richteten Mehrfachraketenwerfer etwa vom Typ BM-21 Grad an.

US-Raketen für Kiew mit 150 Kilometer Reichweite

Die USA erwägen Insidern zufolge, die Ukraine mit Waffen zu versorgen, die weit in russisches Gebiet reichen können. Der Luftfahrt- und Rüstungskonzern Boeing habe sein System GLSDB (Ground-Launched Small Diameter Bomb) ins Spiel gebracht, bei dem kleine, billige Präzisionsbomben auf zahlreich vorhandene Raketen montiert werden können, hieß es in Industriekreisen. Es handle sich aber um einen von etwa sechs Plänen, wie die Ukraine mit weiteren Waffen versorgt werden könne.

Das System von Boeing könnte ab dem Frühjahr 2023 geliefert werden. Es verbindet die Bombe GBU-39 mit M26-Raketen, beides in großer Anzahl in US-Lagern vorhanden. Die Reichweite dieses Systems beträgt 150 Kilometer und wurde von Boeing zusammen mit SAAB seit 2019 entwickelt. Weder Boeing noch das US-Verteidigungsministerium wollten sich zu den Informationen äußern.

Ukrainische Truppen bei schwerem Busunfall verletzt

Bei einem schweren Verkehrsunfall in Lettland sind am Wochenende mehrere Angehörige der ukrainischen Streitkräfte verletzt worden. Nach offiziellen Angaben befanden sie sich in einem von der estnischen Armee gecharterten Bus, der am Samstagabend bei Ainazi im Norden nahe der Grenze zu Estland frontal mit einem Lastwagen zusammenstieß. Dabei starb der estnische Fahrer des Busses.

Drei Personen wurden in ernstem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert, 23 Personen erlitten weniger schlimme Verletzungen, wie der lettische Rettungsdienst informierte. Nach Angaben der estnischen Armee befindet sich unter den Verletzten ein estnischer Soldat. Bei den übrigen verletzten Businsassen handle es sich um ukrainische Truppen, teilten die Streitkräfte in Tallinn am Sonntagabend mit. Nähere Angaben zu deren Aktivitäten in den baltischen Staaten wurden keine gemacht. Die lettische Polizei hat Ermittlungen aufgenommen, um die genaue Unfallursache herauszufinden.

Russland: "Kein Rückzug" aus Saporischschja

Das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk Saporischschja bleibt indes nach Angaben der von Russland eingesetzten Verwaltung in Enerhodar unter russischer Kontrolle.

Die Besatzungsverwaltung in der südukrainischen Stadt, in der das AKW liegt, reagierte damit auf Äußerungen des Chefs des ukrainischen Energieversorgers Energoatom. Dieser hat am Sonntag gesagt, seit einigen Wochen gebe es Anzeichen dafür, dass sich die russischen Truppen möglicherweise auf einen Rückzug vorbereiten.

Er verwies auf russische Medienberichte, in denen eine mögliche Übergabe der Kontrolle über das AKW an die internationale Atomenergiebehörde IAEA als lohnenswert bezeichnet werde.

Selenskij: "Zusammen überstehen"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij hat seine Landsleute unterdessen auf einen harten Winter mit heftigen russischen Angriffen eingestellt. „Solange sie Raketen haben, werden sie nicht ruhen“, sagte Selenskyj in einer Videoansprache.

Die ukrainische Armee bereite sich auf die Abwehr von weiterem Beschuss vor, sagte Selenskyj. „Russland versucht in diesem Winter, die Kälte gegen die Menschen einzusetzen“, meinte er zudem mit Blick auf die gezielten Angriffe Moskaus auf ukrainische Strom- und Wärmekraftwerke.

Der Staatschef rief die Ukrainer auf, hilfsbedürftige Mitmenschen in der kalten Jahreszeit besonders zu unterstützen. Nun sei Zusammenhalt gefragt. „Zusammen werden wir alles überstehen.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij

Fortschritte in Cherson

Aus der kürzlich befreiten Gebietshauptstadt Cherson im Süden wurden weitere Fortschritte bei der unter russischer Besatzung fast komplett zerstörten Stromversorgung gemeldet. Mittlerweile seien rund 17 Prozent der Haushalte wieder ans Elektrizitätsnetz angeschlossen, teilte Gebietsgouverneur Jaroslaw Januschewytsch mit.

Nach mehreren Monaten unter russischer Besatzung hatte die ukrainische Armee die Stadt Cherson und weitere Orte des gleichnamigen Gebiets Mitte November zurückerobert. Seitdem ist die Stadt mit ihren einst 300 000 Einwohnern nicht nur heftigen russischen Angriffen ausgesetzt, sondern kämpft auch mit massiven Problemen bei der Energieversorgung.

Angesichts der schwierigen Lage hat die ukrainische Regierung vor wenigen Tagen damit begonnen, Zivilisten in andere Landesteile zu fahren, wo sie den Winter verbringen sollen.

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