Juncker: "Nicht das Europa, in dem ich leben will"

EU-Kommissionspräsident fordert europäische Lösung der Flüchtlingskrise: "Sind Menschen wie Sie und ich."

Mazedoniens Regierung hat vor der nicht enden wollenden Flüchtlingsflut kapituliert. Am Sonntag konnten Hunderte Menschen ungehindert die griechisch-mazedonische Grenze passieren. Am Samstag waren hier zwei Dutzend Menschen verletzt worden, als Blendgranaten flogen und Schlagstöcke zum Einsatz kamen. Doch die durchbrach den Stacheldrahtwall. Wenig später durften alle, die im Niemandsland gefangen waren, über die Grenze. Tausende warteten am Sonntag in Gevelija auf einen Zug nach Serbien – um ihrem Ziel wieder ein Stück näher zu kommen: der EU.

„Es ist sehr, sehr hart für uns. Wir sind doch Menschen, keine Tiere. Wir wünschen uns nur so sehr ein Leben, ein ganz normales Leben ohne Krieg“, sagt ein abgekämpfter junger Syrer am Bahnhof in eine der Kameras, die hier Bilder von Leid, Hoffnung und Wut einfangen. Ob auf Kos oder Lesbos, wo Flüchtlinge um die wenigen Lebensmittel stritten, auf Sizilien oder in Mazedonien: Immer wieder schreien Migranten ihre Wut über dieses Europa und seinen menschenunwürdigen Zuständen laut heraus.

"Wenn wir über Migranten sprechen, dann sprechen wir über Menschen, über Menschen wie Sie und mich."

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht das offenbar auch so. "Das ist nicht das Europa, in dem ich leben will“, schreibt er in einem Beitrag für die Welt am Sonntag. "Wenn wir über Migranten sprechen, dann sprechen wir über Menschen, über Menschen wie Sie und mich“, nur das diese nicht so viel Glück hätten, in einem der reichsten und stabilsten Regionen der Welt geboren zu sein. "Wir sprechen über Menschen, die vor dem Krieg in Syrien fliehen müssen, vor dem IS-Terror in Libyen oder der Diktatur in Eritrea."

Die Wertegesellschaft Europa habe die höchsten Asylstandards der Welt. „Ich mache mir allerdings Sorgen, dass es immer weniger in unseren Herzen verankert ist“, schreibt Juncker. „In Brand gesetzte Flüchtlingslager, zurückgedrängte Boote, Gewalt gegen Asylbewerber oder nur das Wegschauen bei Not und Hilfsbedürftigkeit – das ist nicht Europa.“

Kritik an Populismus

Juncker kritisiert Populismus „von weit rechts und weit links“, der „nur Groll, keine Lösungen“ bringe. Es sei auch klar, dass kein Mitgliedsstaat allein Migration wirksam regeln könne. „Wir brauchen einen starken europäischen Ansatz. Und zwar jetzt.“ Der EU-Kommission könne man nicht Untätigkeit vorwerfen, sie habe im Mai detaillierte Vorschläge für eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik vorgelegt. Einiges konnte umgesetzt worden, anderes nicht – wie die vorgeschlagene Flüchtlings-Verteilungsquote, die von etlichen EU-Staaten abgeblockt wurde. Juncker wirbt dafür und für einen „dauerhaften Mechanismus“, wann immer ein EU-Mitgliedsstaat Hilfe benötige. Gefordert sei jetzt „kollektive Courage“.

Juncker: "Nicht das Europa, in dem ich leben will"
Policemen walk between flares thrown by right wing protesters who are against bringing asylum seekers to an accomodation facility in Heidenau, Germany August 22, 2015. The right-wing political party NPD organized a protest against bringing the asylum seekers to the facility on Friday. REUTERS/Axel Schmidt
Courage der Zivilgesellschaft und der Politik braucht es auch angesichts offenen Fremdenhasses in Deutschland. In sächsischen Heidenau bei Dresdenrandalierten hundert Rechtsradikaledie zweite Nacht in Folge vor einer Notunterkunft für Flüchtlinge und verletzten erneut zwei Polizisten. Deutsche Politiker quer durch die Lager verurteilten die Übergriffe und forderten ein hartes Vorgehen des Rechtsstaats. Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel, der heute das Notquartier in Heidenau besuchen will, nannte die Flüchtlingsfrage die „größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung“. „Wir müssen unsere Flüchtlingspolitik dramatisch ändern.“

Das sieht auch Polizeigewerkschafter Rainer Wendt so: „Die Kombination aus konzeptionsloser Politik und massiven Flüchtlingsströmen nach Deutschland und innerhalb Europas ist der ideale Nährboden für das Entstehen eines starken Rechtsextremismus in Deutschland.“ Die Politik stolpere „völlig hilflos und ohne Konzeption von einer Empörung zur anderen“.

Kommentare