Juncker will eigene EU- Armee und Klarheit über Trumps Kurs

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
In Europa herrschen Nervosität und Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen gegenüber dem neuen US-Präsidenten.

Niemand von den EU-Spitzenpolitikern kennt Donald Trump. Aber alle kennen die Sorgen, die er nicht nur in Amerika, sondern vor allem auch außerhalb auslöst, und teilen dieselben Fragen an den neuen US-Präsidenten.

Hört man sich in den EU-Institutionen um, ist von drei großen Ängsten die Rede:

Erstens, wird Trump das Verteidigungsversprechen gegenüber der NATO aufkündigen und die Beistandspflicht der Allianz ad acta legen?

Zweitens, wie wird die US-Administration die Russland-Politik erneuern? Osteuropäische EU-Mitglieder zittern vor der Aussicht, Trump könnte die Kumpanei mit Putin über Verträge und Völkerrecht stellen.

Juncker will eigene EU- Armee und Klarheit über Trumps Kurs
Republican presidential nominee Donald Trump speaks during a campaign rally in Raleigh, North Carolina, U.S. November 7, 2016. REUTERS/Carlo Allegri
Und drittens wird befürchtet, der neue Herr im Weißen Haus könnte seine Ankündigung wahrmachen und das TTIP-Abkommen sterben lassen sowie die gesamte Handelspolitik über den Haufen werfen.

Briefe an Trump

Nicht nur, dass vieles aufseiten der Amerikaner offen ist, auch die Europäische Union hat noch kein strategisches Konzept gegenüber der neuen US-Administration. Ein hochrangiger deutscher Diplomat machte gegenüber dem KURIER den Vorschlag, Trump ein Positionspapier und eine Forderungsliste aller 28 EU-Staaten so rasch wie möglich zu übermitteln. Ob es dazu kommt, ist mehr als offen. Frankreichs Staatspräsident François Hollande, der Trump im Wahlkampf besonders hart und abfällig kritisierte, hat bereits brieflich Kontakt mit ihm aufgenommen. Nicht anders werden andere handeln.

Wie nervös und gleichzeitig ratlos die Repräsentanten der Brüsseler Bürokratie sind, zeigt sich daran, dass die Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, nicht aus eigener Initiative, sondern auf Druck von Deutschlands Außenminister Frank Walter Steinmeier für Sonntagabend zu einem informellen Dinner der EU-Außenminister nach Brüssel eingeladen hat. Am Montag findet dann das reguläre Ratstreffen statt, am Dienstag reisen die EU-Verteidigungsminister an.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat bereits darauf hingewiesen, dass die Europäer künftig für ihre eigene Sicherheit sorgen müssen. "Deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf in Sachen europäische Verteidigungsunion mit dem Ziel einer europäischen Armee", betonte Juncker.

"Gemeinsam statt einsam" wird die Devise der Europäer sein müssen, um im ökonomischen und politischen Wettbewerb mit den USA (und mit Asien) bestehen zu können. Die Verteidigungsunion wird militärische Kooperation verstärken und wohl höhere Verteidigungsbudgets zur Folge haben – etwas, das die NATO (22 EU-Staaten sind NATO-Mitglieder) seit Jahren fordert.

Brüsseler Politikberater sehen für die EU aber auch eine Chance durch das neue Washingtoner Establishment. Eine Wiederbelebung der russisch-amerikanischen Beziehungen könnte auch das angespannte Verhältnis der EU zu Moskau lockern.

Möglich wäre auch, das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP auf eine neue Basis zu stellen, was überzeugte "Freetrader" in der EU wünschen. "Wenn Europa seine Möglichkeiten nützt und nationale Alleingänge hintanstellt, kann es stärker aus der Konfrontation mit Trump und seiner Ideologie hervorgehen", heißt es in der EU-Kommission.

Bis dahin fordert Juncker Klarheit von Trump über dessen Ziele: "Wir möchten wissen, wie es mit der globalen Handelspolitik weitergeht", sagte Juncker gestern in Berlin. "Wir möchten wissen, welche bündnispolitischen Absichten Herr Trump hat. Wir müssen wissen, welche klimapolitischen Absichten er hat. Dies muss in den nächsten Monaten geklärt werden."

TTIP nicht in zwei Jahren

Für einen baldigen Abschluss des transatlantischen Handelsabkommens TTIP sieht Juncker derzeit keine Möglichkeiten mehr. "Das Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, ich sehe das nicht als etwas, das in den nächsten zwei Jahren passieren würde."

Juncker und Ratspräsident Donald Tusk strecken den USA gegenüber jedenfalls die Hand aus: Die Einladung zu einem EU-USA-Gipfel ist bereits verschickt.

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