Juncker, der neue Mister Europa

Der Kommissionschef muss sich als Krisenmanager bewähren. Trotz Skepsis setzt er auf Solidarität.

Wenn Juncker einmal nicht lächelt und kein Bonmots über über die Lippen bringt, dann ist die Lage ernst. Mit steinerner Miene kritisierte er im EU-Parlament den Streit und die gegenseitigen Schuldzuweisungen der Regierungen in der Flüchtlingsfrage. "Die EU ist in keinem guten Zustand", resümiert er trocken. Mitglieder, die unsolidarisch sind und Beschlüsse zur fairen Flüchtlingsverteilung verweigern, ermahnte er: "Wo bleiben die Taten, wir haben keine Zeit zu verlieren."

Juncker drängt, auch für ihn zählt jeder Tag, denn der unbewältigte Flüchtlingsansturm setzt der EU zu. "Die Krise ist so tief und problematisch, dass Juncker übermenschliche Fähigkeiten bräuchte", sagt Stefan Lehne vom bekannten Thinktank Carnegie Europe.

Trotz Krise ist ihm einiges gelungen: "Er hat keine Fehler gemacht, es gibt gute Ansätze", lobt Lehne. Die Kommission, bei vielen als Bürokratie-Monster verschrien, hat er umgebaut, die Aufgaben inhaltlich gebündelt. Nichts ist mehr so wie unter der schwerfälligen Kommission des Vorgängers José Manuel Barroso.

Globales Netzwerk

Juncker macht es anders: Er redet viel und hat ein dichtes europäisches und globales Netzwerk. Scharfzüngig und analytisch bringt er oft die Dinge auf den Punkt, wie aktuell bei den Flüchtlingen. Dass er ein politischer Präsident ist, zeigt sein Krisenmanagement, die Griechenland-Rettung, sein Plan für mehr Wachstum und Beschäftigung sowie seine Vorgehen gegen Regierungschefs, die er zurechtweist, wenn es nötig ist. Alexis Tsipras forderte er auf, die Beschlüsse von Brüssel in Athen "nicht zu verdrehen".

Vor einem Jahr, als alle Regierungschefs den Flüchtlingsansturm noch negiert haben, warnte er davor, im Frühjahr legte er eine Migrationsagenda vor.

"Bei den Flüchtlingen sind wir dort, wo wir bei der Finanzkrise 2010 waren", sagt Juncker. Unbeirrt glaubt er trotz des Widerstandes einiger Osteuropäer an den Wert der Solidarität und an eine Lösung.

Als die Griechenland-Rettung zu scheitern drohte, weil viele Finanzminister keinen Ausweg mehr sahen, kämpfte er für den Verbleib im Euro. Im Hintergrund hat er es mit Angela Merkel so vereinbart.

Juncker ist der Hüter der europäischen Integration. Machiavellistisch hat er zur Durchsetzung seiner Projekte eine Koalition mit dem EU-Parlament und Freund Martin Schulz geschmiedet. Ein Mal im Monat gibt es das G5-Treffen, dem Juncker, sein Vize Frans Timmermans, Schulz und die beiden Fraktionschefs der EVP und der Sozialdemokraten angehören. Die Absprachen halten, Juncker hat bisher jede Abstimmung im Parlament für sich entschieden. Diese Allianz braucht er, denn in Ratspräsident Donald Tusk hat er keine große Unterstützung. "Die Zusammenarbeit ist problematisch", stellt auch EU-Insider Lehne fest. Juncker macht sich die Dinge mit den Regierungschefs selbst aus.

Luxleaks-Affäre

Aber in der Luxleaks-Affäre drohte er zu scheitern. Der langjährige luxemburgische Premier musste zu einer Anhörung in den Sonderausschuss des EU-Parlaments. Im November 2014 war bekannt geworden, dass Luxemburg und andere Staaten Großkonzerne mit Steuerdeals angelockt haben. Bei der Anhörung bestritt er, ein System der Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung zulasten anderer erfunden zu haben, aber er spielte mit und nützte legistische Freiräume. Er rückte einen Bericht über Steuerdumping heraus, der Luxemburg bereits 1997 vor der umstrittenen Praxis warnte, Folgen gab es keine. Jetzt geht die Kommission hart gegen Steuersünder vor, verurteilt Konzerne zu Strafen und legt Maßnahmen gegen Steuervermeidung vor: Unternehmen zahlen dort Steuern, wo ihre Gewinne anfallen.

Kritik muss Juncker zuhauf einstecken, in erster Linie von Parteifreunden. Finanzminister Wolfgang Schäuble wollte der Kommission Kompetenzen entziehen, um Juncker zu schwächen, erfolglos.

"Kommission der letzten Chance" hat Juncker sein Ziel formuliert. Ende 2019 wird man sehen, ob das gelungen ist. Vorerst will er keine Bilanz ziehen – und das erste Jahr auch nicht feiern: "In der Flüchtlingskrise gehört sich das einfach nicht."

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