Brexit: Johnson stemmt sich gegen Rebellion in eigenen Reihen

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Konservativer Premier wirft EU vor, eine "Lebensmittelblockade" Nordirlands zu planen.

Mit einem eindringlichen Appell will der britische Premierminister Boris Johnson die Kritiker in seinen eigenen Reihen von seinem umstrittenen Brexit-Kurs überzeugen. "Lasst uns die EU dazu bringen, ihre Drohungen vom Tisch zu nehmen. Lasst uns dieses Gesetz durchbringen, unsere Verhandler unterstützen und unser Land schützen", schrieb Johnson in einem Beitrag für den "Telegraph" (Samstag).

Mit dem sogenannten Binnenmarktgesetz will Johnson den bereits gültigen Brexit-Deal einseitig verändern. Die EU verurteilte das scharf als Rechtsbruch und forderte Großbritannien auf, bis spätestens Ende September einzulenken - was die britische Regierung jedoch sofort ablehnte.

Selbst in den eigenen Reihen erntet Johnson mit seinem harten Kurs Kritik: Bis zu 30 Abgeordnete seiner Konservativen Partei wollen nach einem Bericht der "Times" gegen das Änderungsgesetz stimmen.

In seinem Beitrag erhebt Johnson schwere Vorwürfe gegen die EU: Der Staatenbund plane, eine "Lebensmittel-Blockade" zwischen Nordirland und dem Rest von Großbritannien zu errichten, also die Einfuhr von Lebensmitteln zwischen den Landesteilen deutlich einzuschränken.

Der gültige Deal ermögliche in seiner jetzigen Form der EU solche Befugnisse und der Chef-Unterhändler Michel Barnier habe gedroht, diese auch auszureizen, schrieb Johnson.

Das würde die Souveränität und den Zusammenhalt Großbritanniens gefährden. Die Nordirland-Frage ist deshalb so strittig, weil eine harte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland um jeden Preis vermieden werden soll.

In der kommenden Woche gehen die bereits seit langem stockenden Verhandlungen der EU mit Großbritannien über einen Handelspakt in Brüssel weiter, während in London das Parlament über das umstrittene Gesetz abstimmen soll.

Gentiloni: EU auf negatives Ergebnis "vorbereitet"

Wirtschaftskommissars Paolo Gentiloni hat indes verlautbart, dass die Europäische Union aus seiner Sicht auch ein Scheitern der Brexit-Handelsgespräche mit Großbritannien verkraften könne. Mit Blick auf seine Zuständigkeit für die Zollunion sagte Gentiloni am Samstag in Berlin: "Wir sind vorbereitet, auch mit einem außergewöhnlich negativen Ergebnis dieser Diskussion umzugehen."

Die EU arbeite weiter an einer Einigung mit London. Doch zerrinne die Zeit. Es bleibe nur ein Monat für einen Vertrag, der noch praktisch umzusetzen sei. Über die jüngste Entwicklung sei man sehr besorgt, bekräftigte Gentiloni. Es sei nun an Großbritannien, das Vertrauen der EU wieder herzustellen.

Die EU sieht die Pläne der britischen Regierung, das bereits gültige Austrittsabkommen mit einem britischen Gesetz zu ändern als Vertrauensbruch, pocht auf Vertragstreue und verlangt einen Stopp der Pläne bis 30. September. Das hat London bereits abgelehnt.

Auch die Fraktionsspitzen des Europaparlaments äußerten sich am Freitagabend sehr besorgt und betonten in einer Erklärung: "Sollten die britischen Behörden das Austrittsabkommen durch das britische Binnenmarktgesetz verletzen oder drohen, es zu verletzen, ob nun in jetziger Form oder anderer Form, wird das Europaparlament eine Vereinbarung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich unter keinen Umständen ratifizieren."

Diese Woche hatten beide Seiten bereits zum achten Mal über einen Handelsvertrag verhandelt, jedoch wieder ohne greifbare Ergebnisse. Er soll die wirtschaftlichen Beziehungen ab 2021 regeln. Dann endet die Brexit-Übergangsfrist, in der Großbritannien noch zu Binnenmarkt und Zollunion gehört. Ohne Vertrag drohen Zölle und große Handelshemmnisse.

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz hat am Samstag ebenso gesagt, dass er "keine besonders schweren Konsequenzen" durch ein mögliches Scheitern der Verhandlungen sehe. "Meine Einschätzung ist: Eine ungeregelte Situation würde sehr erhebliche Konsequenzen für die britische Volkswirtschaft haben. Europa wäre in der Lage, damit umzugehen", so Scholz.

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