Johannes Hahn: Griechen agieren "unprofessionell"
KURIER: Herr Kommissar, Sie kennen Griechenland sehr gut. Ihre Prognose im Reformpoker?
Johannes Hahn: Dass die Regierung jetzt inhaltliche Reformen auf den Tisch legt. Ohne Plan kann man nicht verhandeln, das ist unprofessionell. Das kritisiere ich. Seit Monaten ist Stillstand in der Regierungsarbeit. Das Land kann sich den Luxus des Stillstandes nicht erlauben, hier muss gehandelt werden. Die Kommission ist geduldig und tut ihr Bestes. Es liegt nun an der Regierung, einen glaubhaften und umfassenden Reformplan vorzulegen. Dazu hat sich Griechenland in der Eurogruppe am 20. Februar verpflichtet. Die Situation ist ernst. Ich hoffe, dass eine Einigung im Interesse der Menschen in Griechenland erzielt werden kann.
Warum geht am Balkan nichts weiter? Massenflucht aus dem Kosovo, Serbien versinkt in Korruption, ein Abhörskandal erschüttert Mazedonien.
Ich sehe es nicht so negativ, es gibt ermutigende Fortschritte. Ich war eben in Albanien und im Kosovo, wo Projekte grenzüberschreitender Verkehrs- und Energienetze vereinbart wurden. Das fördert das Zusammenwachsen und die Versöhnung in der Region. Die Fortschritte sind Ergebnis des politischen Drucks der EU. Unsere finanzielle Unterstützung ist strikt an Reformen gebunden, deren Umsetzung wir genau verfolgen. Große Sorgen macht mir die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien.
Inwiefern?
Der Abhörskandal ist etwas Unglaubliches. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss muss diesem Skandal politisch auf den Grund gehen und das Justizsystem seinen Aufgaben nachkommen.
Wann beginnt Serbien mit den Beitrittsverhandlungen?
Serbien macht gute Fortschritte, auch bei der Normalisierung seiner Beziehungen zum Kosovo. Wenn das Reformtempo anhält, befürworte ich die Öffnung erster Verhandlungskapitel in diesem Jahr. Gerade für Österreich sind Fortschritte, etwa in der Korruptionsbekämpfung, wichtig, denn Österreich ist in Serbien Investor Nummer 1.
Begreifen die Länder, dass Rechtssicherheit wichtig ist?
Durchaus. Rechtssicherheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie, Voraussetzung für Investoren und damit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Im Kosovo habe ich eben das neue Haus der Justiz eröffnet, ein mit EU-Geldern finanzierter Gebäudekomplex, in dem alle Gerichte des Landes vereint sind. Das ist ein Beitrag zu Rechtssicherheit und Transparenz.
Wie wollen Sie die EU-Nachbarschaftspolitik reformieren?
Wir müssen stärker europäische Interessen in den Vordergrund stellen aber auch die unterschiedlichen Interessen der Nachbarn akzeptieren. Ziel sind maßgeschneiderte Lösungen. Ukraine, Moldawien und Georgien wollen stärker an die EU heranrücken. Armenien ist der Eurasischen Union beigetreten. Im Gegensatz zu Russland, für das eine Schwarz-Weiß-Kategorisierung zählt, gilt für uns das Prinzip der Differenzierung und des Respekts vor souveränen Entscheidungen. Wichtig ist die Intensivierung des Handels. Je mehr Handel die Länder untereinander haben, desto weniger Konflikte gibt es.
Gibt es in der Ukraine Fortschritte bei Reformen und der Korruptionsbekämpfung?
Ja. Es gibt neue Gesetze für die Justiz, zur Korruptionsbekämpfung und Dezentralisierung. Der Lackmustest ist die Umsetzung, auch da gibt es Fortschritte. Dass Präsident Poroschenko einen Gouverneur absetzte, der der Korruption beschuldigt wird, ist ein Signal. In der Ukraine wird zehn bis elf Mal mehr Energie vergeudet als im EU-Durchschnitt. Läge die Ukraine im EU-Schnitt, müsste sie kein Gas importieren, sondern könnte Gas exportieren. Lange wurde Gas abgezweigt, Korruption und Diebstahl waren im Spiel. Jetzt wird durchgegriffen. Das ist die Voraussetzung für europäische Hilfe.
Sie waren lange Regierungsmitglied. Warum tut sich Österreich mit Reformen so schwer?
Das ist ein Phänomen aller Wohlfahrtsstaaten. Wohlerworbene Rechte sind offenbar stärker als Verfassungsgesetze. Bestehendes kann man nur dann halten, wenn man es behutsam, nachhaltig und permanent umbaut.
Wird sich Österreich bei TTIP durchsetzen können?
Nur dann, wenn es imstande ist, seinen Standpunkt mehrheitsfähig zu machen. Laut Umfragen gibt es nur wenige Länder, in denen die Mehrheit gegen TTIP ist. Bei der Frage der Schiedsgerichte hat Österreich die Diskussion sehr stark beeinflusst. Schiedsgerichte waren eine europäische Idee zur Sicherung der Wirtschaft in rechtsstaatlich unsicheren Märkten. Die EU hat über 1400 bilaterale Abkommen mit so einer Klausel, Österreich 62. Derzeit werden sieben oder acht Verfahren von heimischen Unternehmen unter Nutzung der Klausel geführt.
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