Jean Asselborn: Die Werte der EU kann man nicht einfach ignorieren
Er hat Ecken und Kanten und eine Meinung, mit der er nicht hinter dem Berg hält: Der Luxemburger Sozialdemokrat Jean Asselborn (71) hat sämtliche Krisen seit 2004 als Außenminister hautnah miterlebt und um Lösungen innerhalb der Europäischen Union gerungen. Als größte politische Wunde nennt er das Versagen der Europäer, eine gemeinsame Migrationspolitik zu finden.
Man könne die Grundwerte der EU nicht einfach ignorieren. „Sie ist eine Wertegemeinschaft, keine Interessensgemeinschaft“, sagte er am Mittwoch bei der Präsentation seiner Biografie in Wien.
Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, unabhängige Justiz, die Achtung der Menschenrechte: Die Europäische Union habe Garant dafür zu sein, die Mitgliedsstaaten müssen sich daran halten, betont Asselborn. "Es kann nicht sein, dass wir es ignorieren, wenn es keine Medienfreiheit mehr gibt. Es kann nicht sein, dass wir in eine andere Ecke schauen, wenn die freie Justiz und die Gewaltentrennung nicht mehr funktionieren."
Beschneidung der Demokratie
Im Visier hat Asselborn dabei allen voran Ungarn, dessen Premier Viktor Orban eine "illiberale Demokratie" propagiert. "Das gibt es nicht. Entweder illiberal oder Demokratie. Das ist wie schwanger oder nicht. Ein bisschen schwanger, das gibt es nicht", sagt Asselborn.
Als die Regeln für die EU vereinbart wurden, habe aber niemand daran gedacht, dass die Grundwerte in Gefahr geraten könnten, erklärt er. Deshalb gebe es dafür kein richtiges Instrumentarium, und das Einstimmigkeitsprinzip verschärfe das Problem noch.
Anhand der politischen Biografie Asselborns beschreibt die langjährige KURIER-Journalistin Margaretha Kopeinig diese und viele andere Probleme, in denen die EU heute steckt. Kopeinig zeichnet aber auch ein Bild des Menschen Jean Asselborn, dem Arbeiterkind aus dem luxemburgischen Steinfort, der sich durch sein Jusstudium gebissen hat und der stets ein Ohr für die Nöte und Sorgen seiner Mitmenschen hat und hatte.
Schon seit zehn Jahren ist der Luxemburger dienstältester Außenminister in Europa. Bis heute hat er seinen Enthusiasmus nicht verloren. Er ist ein glühender Europäer, der den Glauben an die Europäische Union nicht aufgibt. Auch oder gerade in schwierigen Zeiten, die wir erleben. Die Corona-Krise, davon ist Asselborn überzeugt, wird die EU gut überstehen.
Millionen Arbeitslose verhindern
Für ihn ist klar, dass es angesichts der Mega-Aufgabe Subventionen in großem Stil geben müsse, "wenn wir nicht Millionen über Millionen Arbeitslose etwa in Spanien oder Italien haben wollen". Andernfalls würden diese den Glauben an Europa verlieren, "und dann machen wir das Bett frei für die Salvinis Europas".
Sein Wortgefecht mit dem italienischen Rechtspopulisten Matteo Salvini über die EU-Migrationspolitik gipfelte in einem wütenden "Merde alors!" (Verdammt noch einmal) Asselborns - dem Titel der Biografie, die von Kopeinig akribisch recherchiert wurde und im Czernin Verlag erschienen ist.
Interviews mit Fischer, Steinmeier
Sie lässt aber auch zwei enge Freunde Asselborns zu Wort kommen: den österreichischen Altpräsidenten Heinz Fischer und den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. In Interviews mit den beiden Sozialdemokraten wird auch die Krise der Sozialdemokratie thematisiert oder notwendige Schritte gegen den Klimawandel.
Aber auch Fotos einer gemeinsamen Wanderung der Ehepaare Asselborn, Fischer und Steinmeier sind im Buch zu finden. Kopeinig ist eine gute Mischung aus dem Leben Asselborns und dem politischen Zeitgeschehen gelungen.
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