US-Politanalyst: "Donald Trump hat keine Weltanschauung"

Donald Trump
Die Frage, wie man mit US-Präsident Trump umgehen soll, hält Europa weiter in Atem. Am Sonntag etwa reist Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Schottland, um dort mit ihm eine Lösung im Zollstreit zu suchen. In Trumps MAGA-Bewegung selbst sind derweil Stimmen gegen seine Politik lauter geworden.
Wenige Menschen kennen sich mit der Republikanischen Partei so gut aus wie Henry Olsen. Er ist Senior Fellow am Ethics and Public Policy Center, einer konservativen Denkfabrik in Washington, D. C. Zuvor war er u. a. Kolumnist für die "Washington Post". Der KURIER traf ihn in Salzburg, wo er auf Einladung der Industriellenvereinigung an einer Konferenz teilnahm.
KURIER: Sie haben ein Buch über Ex-Präsident Ronald Reagan geschrieben, der für viele Republikaner noch immer eine heroische Figur ist. Wäre er noch am Leben, was würde er heute über den Zustand der Partei sagen?
Henry Olsen: Reagan war ein Populist seiner Zeit. Er hätte viele der Themen, die Trump ins Weiße Haus gebracht haben, früh erkannt. Inhaltlich wäre seine Politik also jener von Trump wohl näher als viele „Reaganisten“ es wahrhaben wollen. Schon er sprach davon, Amerika wieder großartig machen zu wollen, auch wenn er etwas anderes meinte. Doch Reagan wäre unzufrieden mit dem Ton in der Partei. Er glaubte an Verhandlungen. Trump glaubt an Befehle und an Zwang.
Sie haben die ideologische Entwicklung der Republikaner über mehrere Phasen hinweg beobachtet. Trump hatte versprochen, sich nicht in Kriege einzumischen, außerdem Anti-Elitarismus. Jetzt hat er doch in den Iran-Israel-Krieg eingegriffen und ist in die Epstein-Affäre verwickelt. Parteimitglieder äußern Kritik. Kommt ihm sein Rückhalt abhanden?
Nein. Die amerikanischen Parteien sind Koalitionen, die in anderen politischen Systemen – in Österreich etwa – mehrere eigene Parteien wären. Die Zustimmungsraten für Trump unter den Republikanern sind extrem hoch, seit den Angriffen auf den Iran sogar leicht nach oben gegangen. Zu hören sind vereinzelte Stimmen, die sich beschweren. Sie produzieren Schlagzeilen. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass sie große Gefolgschaft finden.
Aber wie können jene Republikaner, die so lange für Freihandel waren, Trumps radikale Zollpolitik mittragen?
Henry Olsen arbeitete für den Republikanischen Ausschuss der kalifornischen Staatsversammlung, bevor er Jus studierte und anschließend bei verschiedenen Mitte-Rechts-Thinktanks tätig war. Bis 2023 war er zudem Kolumnist für die "Washington Post". Er ist bekannt für seine klaren Analysen sowie dafür, Wahlausgänge richtig vorauszusagen. Auch Trumps ersten Sieg 2016 hatte er als einer der wenigen kommen sehen.

Henry Olsen war diese Woche in Salzburg.
Hier ist die republikanische Wählerschaft gespalten. Wenn man sich Umfragen dazu ansieht, unterstützt eine knappe Mehrheit Trumps Position zu den Zöllen. Viele republikanische Amtsträger, die dagegen sind, wagen es noch nicht, ihn offen zu kritisieren. Sie sehen, wie beliebt er ist, und wissen, dass sie eine solche Konfrontation nicht sicher gewinnen würden. Trump behauptet, für die Zölle keine Zustimmung im Kongress zu brauchen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der Supreme Court das zurückweisen wird. Dann wird spannend, wie die Republikaner darauf reagieren.
Vor zehn Jahren haben Sie die Republikaner in vier „Gesichter“ eingeteilt: moderat, eher konservativ, sehr konservativ evangelikal und sehr konservativ säkular. Welche „Gesichter“ sind da heute?
Damals war seit 25 Jahren klar, was die Partei ausmachte. Zwei Fragen spalteten sie damals: Inwieweit sollte die Partei mit dem „Konservatismus“ gleichgesetzt sein? Und innerhalb der – größeren – konservativen Fraktion: Welcher Aspekt des Konservatismus soll Vorrang haben? Die Tendenz ging zu kulturellen und religiösen Themen. Das erklärte lange, wonach die Republikaner ihre Präsidentschaftskandidaten ausgewählt haben.
Trump hat das beendet. Jetzt ist die spaltende Frage: Inwieweit soll die republikanische Partei mit Donald Trumps politischen Agenden gleichgesetzt sein? Eine kleinere Gruppe sagt, sie sollte das nicht sein. Und unter den Trump-Unterstützern fragt man sich: Wollen wir einen wütenden, revolutionären Ansatz, einen „Alles-Niederreißen“-Ansatz? Oder wollen wir eher eine Mischung aus traditionellem Republikanismus und Trump-Konservatismus?
Welche Gruppe ist bei den Trump-Unterstützern die größere?
Die zweite. Trump ist nur wieder Kandidat geworden, weil er auch auf sie eingeht – etwa mit den Angriffen auf den Iran, die die MAGA-Loyalisten weniger wollten.
Für ihn, gegen ihn, wie viel von ihm – es dreht sich also alles um Trump. Was kommt nach ihm? Sein Vize JD Vance?
Vance beweist sich als geschickter Politiker, der mit fast allen Lagern der Partei kann. Er ist wütend für jene, die an Trump die Wut attraktiv finden. Dann ist er wieder nachdenklicher, vertritt konventionelle Haltungen in sozialen und religiösen Fragen. Er führt in allen Umfragen. Zu diesem – frühen – Zeitpunkt ist schwer vorstellbar, dass er nicht der nächste republikanische Kandidat wird.
Würde dann der „Trumpismus“ über ihn weiterleben?
Trump hat eine Reihe von Instinkten und Überzeugungen. Er hat keine umfassende Philosophie. Ich kenne Vance seit etwa zehn Jahren. Er hat eine umfassende Philosophie. Sie ist eine Interpretation des Trumpismus und der MAGA-Bewegung. Vance würde einen „Vanceismus“ haben und nicht alle Entscheidungen so treffen, wie Trump sie treffen würde. Wäre eine Vance-Präsidentschaft thematisch konsistent zu Trumps? Ja. Wäre er in gewissen Bereichen sogar „trumpistischer“ als Trump? Ich vermute ja.
Inwiefern?
Trump scheint Migranten, die sich nicht legal im Land aufhalten, abschieben zu wollen. Wenn Arbeitgeber sagen: „Was passiert dann mit unseren Arbeitskräften?“, scheint Trump sich aber auf ihre Seite zu stellen. Das würde Vance zum Beispiel nicht tun. Er ist zudem aufrichtiger religiös als Trump.
In einem Kommentar meinten Sie kürzlich: „Wenn die Europäer über Trumps Vorgehen in der Ukraine schockiert sind, verstehen sie den Mann nicht.“ Versteht Europa Trump aus Ihrer Sicht allgemein schlecht?
Europa hat Schwierigkeiten, sich selbst zu verstehen. Wir befinden uns seit 15 bis 20 Jahren im Zeitalter des globalen Populismus. Und dennoch können Eliten, ganz besonders europäische Politiker, noch immer nicht gut damit umgehen. Sie projizieren ihre eigene Politik auf Trump. Sie hören, was er sagt, und denken: Das muss auf seine Weltanschauung hindeuten. Denn obwohl alle Politiker flexibel sind, agieren die meisten innerhalb einer konsistenten Weltanschauung. Aber Trump hat – so wie er keine umfassende Philosophie hat – keine Weltanschauung. Wenn er etwas sagt, gibt er nicht seine wahre Meinung wieder. Das ist Taktik.
Wie hängt das mit den Zöllen zusammen?
Die Zölle sind für Trump nur ein Mittel – um das Handelsdefizit zu verringern, die Einnahmen des Bundes zu steigern und das zurückzubringen, was ihm wichtig ist – die Produktion von Gütern. Wenn sie sich als erfolglos erweisen oder hohe politische Kosten verursachen, wird er sie schnell wieder abschaffen.
Was würden Sie Europa im Umgang mit Trump also raten?
Man muss in Verhandlungen verstehen, was Trumps unterste Grenze ist. Er signalisiert sie immer. Davon abgesehen ist er sehr flexibel. Und: Trump nutzt Schwäche aus. Er respektiert Stärke. Er will keine Verbündeten nur auf dem Papier. Sondern echte Verbündete.
Was heißt das?
Verbündete, die sich selbst verteidigen und die zu den USA auch Nein sagen können. Das wird Europa während Trumps Amtszeit nicht mehr schaffen. Aber er will nicht mehr die militärische Arbeit für Europa übernehmen. Rüstet Europa auf, wird Trump sich also viel weniger darum kümmern, die US-Vorherrschaft über das Bündnis aufrechtzuerhalten, als jeder andere US-Präsident seit Harry Truman.
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