Italiens Premier Draghi muss gehen, Parteien fordern Neuwahlen

Italiens Premier Draghi muss gehen, Parteien fordern Neuwahlen
Ministerpräsident Mario Draghi ist zurück getreten. Neuwahlen könnte es im Herbst geben. Rechte Parteien erwarten hohen Zuspruch.

Der italienische Premier Mario Draghi ist zurückgetreten. Das teilte der Generalsekretär im Quirinal, dem Sitz von Präsident Sergio Mattarella, Ugo Zampetti, am Donnerstag mit. Draghi wurde von Mattarella mit der Weiterführung der Amtsgeschäfte betraut. Der seit Februar 2021 als Premier amtierende Draghi trat vor einer in der Abgeordnetenkammer geplanten Vertrauensabstimmung zurück.

Mattarella wird im Laufe des Tages die Parlamentspräsidenten Maria Elisabetta Alberti Casellati und Roberto Fico treffen. Casellati soll laut Medienberichten um 16.30 Uhr erscheinen, Fico eine halbe Stunde später. Noch unklar ist, ob der Präsident das Parlament auflöst und Neuwahlen ausschreibt, die am 25. September, oder am 2. Oktober stattfinden könnten.

Die größten Koalitionsparteien fordern Neuwahlen. "Schluss mit Machtspielen, jetzt sollen die Italiener zu Wort kommen", sagte Matteo Salvini, Chef der rechten Regierungspartei Lega, die bei einem Vertrauensvotum im Senat am Mittwoch Draghi nicht unterstützt hatte, was den Weg zu dessen Rücktritt geebnet hatte. Auch die linkspopulistische Fünf Sterne-Bewegung, die rechtskonservative Forza Italia und die rechtspopulistische Oppositionspartei "Fratelli d ́Italia" (Brüder Italiens - Fdi) traten für Neuwahlen ein.

Als unwahrscheinlich gilt die Möglichkeit, dass Mattarella eine Expertenregierung mit der Aufgabe auf die Beine stellen könnte, das Budget 2023 zu entwerfen, ein neues Wahlgesetz zu verabschieden und Italien bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2023 zu führen. Unklar ist, wer eine solche Regierung unterstützen und wer sie führen sollte, meinten politische Beobachter in Rom.

Italiens Premier Draghi muss gehen, Parteien fordern Neuwahlen

Mario Draghi, gestern vor seinem Haus in Rom

Zwei Minister-Rücktritte

Draghi hatte zwar am Mittwoch das Vertrauensvotum im Senat gewonnen, jedoch nicht mit der von ihm erwünschten breiten Mehrheit, denn die drei Regierungsparteien Lega, Forza Italia und die Fünf-Sterne-Bewegung stimmten nicht mit ab.

Unterdessen haben der bisherige Minister für die öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, und Regionenministerin Maria Stella Gelmini als Konsequenz von Draghis Rücktritt ihre Partei Forza Italia verlassen. Zwei Jahrzehnte lang zählten sie als enge Vertrauensleute von Forza Italia-Chef Silvio Berlusconi. "Nicht ich bin es, der geht, sondern es ist die Forza Italia - oder besser gesagt, das was davon übrig ist -, die sich selbst verlassen hat", schrieb Brunetta am Donnerstag auf Facebook.

"Indem Mario Draghi nicht das Vertrauen ausgesprochen wurde, ist meine Partei von den Grundwerten ihrer Kultur abgewichen", schrieb der 72-Jährige weiter. Unverantwortliche Mitglieder in der konservativen Partei von Ex-Ministerpräsident Berlusconi hätten Parteiinteressen über die des Landes gestellt, so Brunetta. Die Parteispitzen hätten sich vom schlimmsten Populismus platt drücken lassen und damit einen Meister wie Draghi geopfert.

Vom Retter zum Sündenbock

2005 polierte der Ökonom das Image der zuvor von einem Skandal erschütterten italienischen Notenbank auf. Für seine Diskretion und Ernsthaftigkeit erntete "Mr. Euro" in seinen langen Jahren als EZB-Präsident viel Lob. An den turbulenten Parteien in Rom ist der 74-Jährige jedoch gescheitert. Zu kompromisslos soll der angesehene Wirtschaftsexperte aufgetreten sein, halten ihm Beobachter vor.

Der Ex-Chef der EZB wurde im Februar 2021 als "Retter Italiens" gefeiert: Alle im Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme der postfaschistischen Partei Brüder Italiens (Fratelli d'Italia/FdI) von Giorgia Meloni sicherten Draghi ihre Unterstützung zu. Tief verfeindete Parteien wie die rechte Lega und die Sozialdemokraten (Partito Democratico/PD) erklärten sich zum Einstieg in das Kabinett Draghi bereit. Auch die einstige Anti-Establishment-Partei Fünf Sterne, stärkste Partei im italienischen Parlament, sagte der Regierung Draghi Unterstützung zu.

Zu seinen Erfolgen zählen die Anti-Corona-Impfkampagne, die zu einer Impfquote von fast 90 Prozent der Bevölkerung führte, und die 200 Milliarden Euro, die Italien aus dem EU-Wiederaufbauprogramm "Next Generation" erhält. Kein Land bekommt mehr Geld aus dem EU-Hilfstopf. Auch mit Stützungsmaßnahmen für die von der Energiekrise und Inflation geplagten italienischen Familien und Unternehmen punktete Draghi bei den Italienern. Mit seiner Kampagne für eine europäische Gas-Preisobergrenze erntete Draghi auch in Brüssel viel Konsens.

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Giorgia Meloni zwischen Matteo Salvini (Lega) und Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi (Forza Italia)

Doch je mehr Draghi im Ausland an Zustimmung gewann, desto mehr geriet er im Umgang mit seiner bunten Koalition in Schwierigkeiten. Im Jänner verfehlte er im Parlament die Wahl zum Staatspräsidenten, die er sich gewünscht hätte. Die Parteien bevorzugten den Amtsverbleib des 80-jährigen Mattarella.

Aufschwung für rechts

Wie geht es jetzt weiter? Die Lega drängt auf Neuwahlen, die sie zusammen mit der Rechtspartei Fratelli d'Italia zu gewinnen hofft. Die Rechtspartei um die Populistin Giorgia Meloni hält laut Umfragen 22 Prozent und hat damit sowohl die Lega als auch die Sozialdemokraten überholt. Seit Monaten drängt Meloni auf Neuwahlen. In Rom wird nicht ausgeschlossen, dass sie als erste Frau in Italien zur Premierministerin aufrücken könnte.

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